„Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig“
Mit deutlichen Worten hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) beim Außenwirtschaftstag in Berlin den Zustand des Standorts Deutschland kritisiert.
„Wir sind mit unseren Strukturen derzeit nicht wettbewerbsfähig“, sagte sie.
Die Ministerin sieht Deutschland zwischen den Wirtschaftsmächten USA und China eingeklemmt – in einem Spannungsfeld zwischen offenen Märkten und wachsender Machtpolitik.
Wie Deutschland sich darin positioniert, werde laut Reiche entscheiden, „ob wir eine echte Wirtschaftsmacht bleiben können – oder langsam abrutschen.“
Globale Risiken treffen auf hausgemachte Probleme
Die Herausforderungen sind nicht neu, aber sie verschärfen sich. Hohe Energiepreise, komplizierte Genehmigungsverfahren und eine wachsende Bürokratie treiben Kosten und bremsen Investitionen. Hinzu kommen neue geopolitische Spannungen:
- China hat die Exportkontrollen für Seltene Erden verschärft – Metalle, die für Motoren, Turbinen und Hochtechnologien unverzichtbar sind.
- Die USA haben Zölle auf EU-Importe erhöht, was die exportstarke deutsche Industrie belastet.
- In Europa lähmen Regulierungsdichte und Abstimmungsprozesse die Umsetzung wichtiger Industrieprojekte.
Das Ergebnis: Die einstige Konjunkturlokomotive Europas steht auf dem Abstellgleis. Die deutsche Wirtschaft stagniert, Produktivität und Innovationskraft sinken.
„Wir brauchen Reformen – nicht Placebos“
Reiche forderte tiefgreifende Reformen, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen – national wie auf EU-Ebene. „Die EU muss sich wieder stärker darauf besinnen, ein Motor für starken Wettbewerb zu sein – und sich nicht länger als regulatorischer Bremsklotz verstehen.“
Damit kritisiert sie nicht nur Brüssel, sondern auch Berlin: zu viele Vorschriften, zu wenig Anreize. Der von der Bundesregierung beschlossene „Investitionsbooster“, der steuerliche Entlastungen bringen soll, reiche nach Einschätzung vieler Experten kaum aus, um die Abwärtsspirale zu stoppen.

Deutsche Wirtschaft im Dauerstress
Auch aus der Wirtschaft kommt Rückendeckung – und Frustration. Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), spricht offen von einem „Verlust an Leistungsfähigkeit“.
Die Unternehmen stünden unter Druck: Stromkosten auf Rekordniveau, ein Sozialstaat, der die Lohnkosten treibt, und ein überlasteter Verwaltungsapparat. „Wir können uns keine weiteren Jahre des Stillstands leisten“, warnte Adrian.
Reiche schloss sich dieser Einschätzung an. Die Ministerin machte deutlich, dass es nicht allein Aufgabe des Staates sei, das Ruder herumzureißen. Auch die Unternehmen müssten handeln.
Neue Lieferketten, neue Märkte
Besonders kritisch sieht Reiche die Abhängigkeit von China bei Rohstoffen und Vorprodukten. Sie fordert Unternehmen auf, ihre Lieferketten breiter aufzustellen. „Ich kann nicht verstehen, dass einige Firmen noch immer keine Alternativen aufgebaut haben.“
Als Hoffnungsmärkte nannte sie Vietnam, Indien und Mexiko – Länder mit wachsender Industrie und politischer Stabilität. Schon heute verlagern mehrere DAX-Konzerne dort Teile ihrer Produktion, um Risiken zu streuen.
Reform oder Rückschritt
Die Mahnung Reiches kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die deutsche Wirtschaft neu sortieren muss. Der grüne Umbau, Digitalisierung, Bürokratieabbau – alles Baustellen, die bisher nur schleppend vorankommen.
Die Ministerin will das ändern. Doch ohne politische Mehrheiten für mutige Strukturreformen dürfte der Appell verhallen.
Deutschland steht an einer Weggabelung: Entweder gelingt der Neustart – oder das Land droht, seinen Status als Industrienation schrittweise zu verlieren.


