Preiskrieg mit Showeffekt
„Die größte Preissenkung aller Zeiten“ – mit dieser Ansage eröffnete Lidl Ende Mai seine neueste Preiskampagne. Mehr als 500 Produkte seien dauerhaft günstiger, so das Versprechen. Aldi zog prompt nach und verkündete seinerseits einen „historischen Schritt“ mit 100 reduzierten Artikeln.
Was nach einer Zeitenwende für den deutschen Einzelhandel klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als weitgehend wirkungsloses Marketingmanöver. Denn während die Discounter Milliarden an Umsatz opfern, kommt bei den Kunden kaum Ersparnis an.
Exklusive Auswertung entzaubert das Versprechen
Erstmals gibt es nun belastbare Daten, wie stark die Preissenkungen tatsächlich ausfallen. Der Preisvergleichsdienst Smhaggle hat mehr als 500.000 Kassenbons auswerten lassen.
Das Ergebnis: Lidl senkte bei 40 Prozent der betroffenen Artikel die Preise um mehr als zehn Prozent, bei einem Viertel der Produkte waren es jedoch maximal fünf Prozent.
Aldi agierte noch zurückhaltender: Drei Viertel der rabattierten Waren sind nur um bis zu zehn Prozent günstiger geworden. Im Durchschnitt sparen Kunden pro Einkauf kaum mehr als 50 bis 70 Cent.
Bei einem durchschnittlichen Einkaufswert von rund 27 bis 29 Euro bedeutet das gerade einmal zwei Prozent Nachlass – weit entfernt von dem medial vermittelten Eindruck einer umfassenden Preissenkung.

Kampfansage mit begrenzter Wirkung
Für die Kunden also ein bescheidener Vorteil. Für die Händler dagegen ein teures Spiel. Nach Berechnungen von Smhaggle summiert sich der entgangene Umsatz allein für Lidl auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr. Zusammen mit Aldi entsteht ein branchenweiter Umsatzverzicht von rund 1,6 Milliarden Euro.
Und auch die Wettbewerber spüren die Folgen. Denn Rewe, Edeka und selbst der kleinere Anbieter Norma sahen sich gezwungen, ähnliche Rabatte zu gewähren, um keine Marktanteile zu verlieren.
Die Illusion der großen Auswahl
Ein weiterer Aspekt dämpft den Spareffekt zusätzlich: Die Discounter veröffentlichen keine vollständigen Listen aller reduzierten Artikel. Während Aldi zumindest 100 Produkte offenlegte, verweigert Lidl aus „Wettbewerbsgründen“ eine transparente Übersicht. Zudem variieren die Sortimente regional.
Branchenkenner zweifeln deshalb, ob Lidl tatsächlich 500 verschiedene Produkte gesenkt hat. Smhaggle konnte nur rund 270 reduzierte Artikel zweifelsfrei identifizieren. Möglich, dass unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Varianten zur Gesamtzahl hinzugerechnet wurden.
Inflation frisst den Rabatt längst wieder auf
Selbst bei den stärker rabattierten Artikeln relativiert sich der Effekt schnell. Zwar ist etwa Butter bei Aldi und Lidl aktuell rund 17 Prozent günstiger geworden – verglichen mit Anfang 2022 zahlen Verbraucher dennoch noch immer 21 Prozent mehr.
Schokoladenkuvertüre, eines der am stärksten reduzierten Produkte bei Lidl, bleibt trotz 32 Prozent Rabatt über 50 Prozent teurer als vor Beginn des Ukraine-Krieges.
Insgesamt liegen die Preise für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke laut Statistischem Bundesamt aktuell 36 Prozent über dem Niveau von 2020. Die Discounter-Rabatte mildern die Inflation – sie kompensieren sie aber bei weitem nicht.
Marken bleiben außen vor
Auffällig ist zudem, dass die Rabatte fast ausschließlich auf Eigenmarken entfallen. Markenartikel wie Coca-Cola, Nutella oder Red Bull sucht man unter den reduzierten Produkten vergeblich.
Kein Zufall: An diesen Artikeln verdienen Händler deutlich höhere Margen. Zudem sind hier die Lieferantenverhandlungen oft zäh, zumal es in den letzten Jahren immer wieder zu Auslistungen und Boykotten gekommen war.
Strategische Marktposition im Blick
Hinter dem milliardenschweren Rabattgewitter steckt jedoch mehr als kurzfristige Kundenbindung. Lidl kämpft aktuell darum, Marktanteile zurückzugewinnen, die zuletzt an Aldi verloren gingen. Zusätzlich soll das eigene Preisimage geschärft werden.
„Lidl versucht, den Konsumenten möglichst plakativ den Eindruck zu vermitteln, sie seien der Preisführer“, erklärt Kai Hudetz vom IFH Köln.
Denn auch wenn die Preisunterschiede in Wahrheit marginal sind, prägt das Image die Kaufentscheidung vieler Verbraucher stärker als die reale Ersparnis.
Ein ruinöser Dauerkrieg wäre fatal
Trotz aller medienwirksamen Preisschlachten rechnen Branchenexperten nicht mit einer dauerhaften Eskalation. „Ein langfristiger Preiskampf würde die Margen der Händler gefährden und könnte schnell existenzbedrohend werden“, warnt Hudetz. Die Gewinnspannen im Lebensmittelhandel sind ohnehin extrem knapp kalkuliert.
Stattdessen dürften die Discounter versuchen, über künftige Verhandlungen mit ihren Eigenmarkenherstellern neue Einkaufsvorteile zu erzielen. Hier verfügen sie über deutlich stärkere Verhandlungsmacht als bei Markenprodukten, da viele Produzenten austauschbar sind.
Ein teures Spiel mit überschaubarem Nutzen
Am Ende bleibt: Die Discounter investieren Milliarden, um ein Preisbild zu vermitteln, das für den durchschnittlichen Kunden nur wenige Cent pro Einkauf bringt. Für die Verbraucher mag es trotzdem beruhigend wirken, angesichts der hohen Inflationsraten überhaupt wieder einmal von Preissenkungen zu hören. Substanzielle Entlastung ist es nicht.
Und das weiß auch der Handel. In Wahrheit ist der große Preiskampf vor allem ein raffiniertes psychologisches Spiel.
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