Der KI-Markt hat lange nur investiert, kaum realisiert. Seit 2023 flossen Milliarden in Start-ups, während Verkäufe und Börsengänge ausblieben. Bewertungen galten als zu hoch, Geschäftsmodelle als zu unreif, das Risiko einer Blase als zu präsent. Doch diese Phase endet. 2026 könnte das Jahr werden, in dem sich entscheidet, ob KI-Investitionen auch tatsächlich zu Geld werden.
In den USA gelten gleich mehrere Schwergewichte als Börsenkandidaten: OpenAI, Anthropic und Cohere prüfen IPO-Szenarien. In Europa kursieren Verkaufs- und Börsengerüchte um Unternehmen wie Mistral. Und erstmals seit Jahren gibt es wieder einen Referenzdeal, an dem sich der Markt orientiert.
Der Cognigy-Deal verändert die Stimmung
Ein Ereignis sticht heraus. Der Verkauf des Düsseldorfer KI-Unternehmens Cognigy an den US-Konzern NiCE für 955 Millionen Dollar hat den europäischen Markt wachgerüttelt. Nicht wegen der Größe allein, sondern wegen der Signalwirkung. Der Deal zeigt, dass KI-Firmen mit funktionierenden Produkten, zahlenden Kunden und klarer Positionierung wieder kaufbar sind.
Für Wagniskapitalgeber ist das entscheidend. Ohne Exits funktioniert das Modell nicht. Kapital wird auf Zeit investiert, nicht auf Dauer. Bleiben Verkäufe und Börsengänge aus, trocknet der Markt aus. Genau das war in den vergangenen zwei Jahren zu beobachten: Investoren hielten Geld zurück, Gründungen wurden vorsichtiger, Bewertungen stagnierten.

Der Cognigy-Verkauf wirkt wie ein Befreiungsschlag. Er zeigt, dass Exit-Kanäle wieder offen sind, dass KI aus Europa skalierbar ist und dass US-Konzerne gezielt hier einkaufen.
Europa wird günstiger – und damit attraktiver
Daten von Pitchbook untermauern diesen Eindruck. Das Volumen von KI-Übernahmen in Europa hat sich 2025 mehr als verdoppelt. In Deutschland stieg es bereits 2024 deutlich und legte weiter zu. Neben Cognigy wechselten mehrere KI-Firmen den Besitzer, darunter Scoutbee, Brighter AI oder ek robotics.
Auffällig ist die Herkunft der Käufer. Es sind vor allem US-Unternehmen, die zuschlagen. Der Grund ist banal: Europäische KI-Firmen sind im Vergleich zu US-Peers weiterhin günstiger bewertet. Gleichzeitig liefern sie zunehmend „Applied AI“ – konkrete Anwendungen mit messbarem Nutzen, nicht nur Modelle und Visionen.
Hinzu kommt ein Strategiewechsel bei etablierten Konzernen. Viele hatten zunächst versucht, KI intern aufzubauen. Die Realität war ernüchternd: hohe Kosten, langsamer Fortschritt, knappe Talente. Inzwischen wächst die Einsicht, dass Zukaufen oft schneller und günstiger ist. Häufig beginnt das mit Kooperationen, dann folgt der Einstieg – und schließlich die Übernahme.
Weniger Deals, mehr Geld
Interessant ist dabei ein Strukturwandel. Die Zahl der Transaktionen wächst nur moderat, das eingesetzte Kapital hingegen deutlich. Käufer konzentrieren sich auf wenige, große Deals. In Deutschland stieg das investierte Kapital bei KI-Übernahmen von rund 810 Millionen Dollar 2024 auf über 1,1 Milliarden Dollar 2025. Europaweit wuchs das Volumen von gut sechs auf fast 15 Milliarden Dollar.
Besonders gefragt sind spezialisierte Anwendungen in regulierten Bereichen wie Gesundheit, Recht, Finanzen oder Industrie. Dort gibt es viele Anbieter, aber nur wenige mit echter Marktmacht. Eine Konsolidierung gilt als wahrscheinlich.
Ein Vorteil europäischer Anbieter: Datenschutz und regulatorische Nähe. Gerade große Unternehmen bevorzugen Partner mit Sitz in Europa, weil sie Compliance-Risiken minimieren. Das verbessert die Verkaufschancen – zumindest im Gespräch.
IPOs bleiben schwierig, aber rücken näher
Neben Übernahmen rückt auch der Kapitalmarkt wieder in den Fokus. Der globale IPO-Markt zieht an, getragen vor allem von den USA. Laut KPMG erreichte der weltweite Exit-Wert im dritten Quartal 2025 den höchsten Stand seit Ende 2021. In Europa bleibt das Bild verhaltener, doch das Interesse wächst.
Viele KI-Firmen bereiten sich auf Börsenreife vor. Der Prozess dauert ein bis zwei Jahre, weshalb 2026 vor allem als Vorbereitungsjahr gilt. Die meisten tatsächlichen Börsengänge werden eher 2027 erwartet – sofern die Marktbedingungen stabil bleiben.

Entscheidend wird sein, wie die ersten KI-IPOs laufen. Gelingen sie, könnten sie als Türöffner wirken. Scheitern sie, droht eine neue Eiszeit. Das Beispiel LightOn aus Frankreich, dessen Börsengang Ende 2024 enttäuschte, zeigt das Risiko.
Kosten bleiben der kritische Punkt
Trotz aller Euphorie bleibt ein strukturelles Problem ungelöst: die Kosten. Rechenleistung, Energie, Infrastruktur – KI ist teuer. Viele Unternehmen wachsen zwar beim Umsatz, verbrennen aber weiter viel Kapital. Genau hier verläuft die Trennlinie zwischen nachhaltigem Geschäftsmodell und Blase.
Für Gründer bedeutet das: Wer 2026 Kapital braucht, sollte sich nicht allein auf die Börse verlassen. Strategische Investoren, Partnerschaften oder ein Verkauf sind oft realistischer. Erfolgreich sind jene, die bei großen Kunden messbare Effekte erzielen – Produktivitätsgewinne, Kostensenkungen, neue Erlöse.
Das Jahr der Entscheidung
2026 wird kein Jahr der flächendeckenden KI-Exits. Aber es könnte das Jahr werden, in dem sich der Markt sortiert. Visionen allein reichen nicht mehr. Gefragt sind belastbare Umsätze, klare Anwendungen und ein glaubwürdiger Weg zur Profitabilität.
Für Investoren ist das eine gute Nachricht. Für Gründer auch – wenn sie geliefert haben. Für alle anderen endet der Hype dort, wo er begonnen hat: bei der Realität.



