Ein Branchenriese unter Druck
Booking.com ist für viele Hotels ein notwendiges Übel. Wer nicht gelistet ist, existiert im Netz kaum. Doch nun formiert sich Widerstand. Über 10.000 europäische Hotels haben eine Sammelklage eingereicht – koordiniert von der Hotel Claims Alliance, unterstützt von 30 nationalen Verbänden, darunter auch der deutsche IHA.
Der Vorwurf: Jahrelang habe Booking.com Hoteliers gezwungen, auf der Plattform stets den niedrigsten Preis anzubieten – selbst wenn es anderswo günstiger gegangen wäre.
Das Ende der Bestpreis-Knebelverträge
Zentraler Streitpunkt sind die sogenannten Bestpreisklauseln. Sie untersagten es Hotels, auf der eigenen Website oder bei anderen Anbietern günstigere Zimmerpreise zu veröffentlichen als bei Booking.
Ein klarer Wettbewerbsvorteil für die Plattform – und ein klarer Nachteil für Hoteliers, die ihre Marge verlieren oder mit Werbebudgets gegen unsichtbare Algorithmen ankämpfen mussten.
Der Europäische Gerichtshof hat diese Praxis im Herbst 2024 gestoppt. Das Urteil: kartellrechtswidrig. Plattformen wie Booking.com dürften ihre Partner nicht zu solchen Bedingungen zwingen.
Die Klauseln wurden daraufhin im gesamten EWR-Raum gestrichen – eine Folge des neuen EU-Digitalgesetzes Digital Markets Act. Doch für viele Hoteliers kam das zu spät.

Schadenersatz für zwei Jahrzehnte
Die Sammelklage hat es in sich: Es geht um mögliche Entschädigungen für den Zeitraum 2004 bis 2024. Eine enorme Spannweite – und ein finanzielles Risiko für Booking. Noch ist unklar, wie hoch der Schadenersatz ausfallen könnte. Klar ist nur: Es dürfte teuer werden.
„Europas Hotellerie hat zu lange unter unfairen Geschäftsbedingungen gelitten“, sagt Hotrec-Präsident Alexandros Vassilikos. Für ihn ist die Klage ein Symbol. „Das ist ein Signal an alle Digitalkonzerne: Wer Marktmacht missbraucht, muss mit Widerstand rechnen.“
Ein Paukenschlag für die Plattformökonomie
Booking.com sitzt in Amsterdam – und dort wird nun auch verhandelt. Der Prozess vor einem niederländischen Gericht könnte ein Präzedenzfall werden. Denn ähnlich gelagerte Fälle gibt es viele: Amazon mit seinen Händlerkonditionen, Airbnb mit lokalen Wohnmärkten, Uber mit Tarifverträgen. Plattformen, die wachsen, aber kaum reguliert sind. Bis jetzt.
Für Booking kommt der Prozess zur Unzeit. Der Mutterkonzern Booking Holdings dominiert mit einem Marktanteil von über 70 Prozent den Online-Hotelvertrieb in Europa. In Deutschland waren es zuletzt 72,3 Prozent.
Gleichzeitig ist der Anteil der Direktbuchungen in den letzten zehn Jahren um rund acht Prozent gefallen – Hoteliers verlieren die Kontrolle über ihre Kundenbeziehungen. Und damit über ihre Existenz.

Zwischen Abhängigkeit und Aufbegehren
Die meisten Hotels brauchen Booking.com – und das weiß der Konzern. Die Plattform bringt Reichweite, internationale Gäste, unkomplizierte Buchungsprozesse. Vor allem kleinere Betriebe könnten ohne die digitale Sichtbarkeit kaum überleben. Doch genau das macht die Machtposition so brisant.
„Viele unserer Mitglieder sagen: Wir fühlen uns erpresst – und gleichzeitig abhängig“, erklärt IHA-Geschäftsführer Markus Luthe.
Die Wut sei groß, die Beteiligung an der Klage enorm. „Wir erleben einen historischen Moment: Erstmals bündeln Hotels europaweit ihre Kräfte – gegen eine Plattform, die sich zu viel herausnimmt.“
Und Booking selbst?
Der Konzern reagiert zurückhaltend. Man halte sich an geltendes Recht, die umstrittenen Klauseln seien längst Geschichte. Die Entwicklung sei eine logische Folge der EU-Gesetzgebung.
Doch der juristische Rückspiegel interessiert Europas Hoteliers wenig. Sie wollen nicht nur das Recht, ihre Preise selbst zu bestimmen – sie wollen Gerechtigkeit. Und Geld.
Ein Weckruf für Brüssel
Die Klage richtet sich nicht nur gegen Booking. Sie ist ein Weckruf an die Politik. Denn trotz Digitalgesetz und Wettbewerbsregeln bleiben viele Plattformen praktisch unreguliert – zumindest in der Alltagspraxis. Der Fall Booking zeigt, wie lange kartellwidrige Strukturen bestehen können, wenn niemand ernsthaft einschreitet. Zwei Jahrzehnte – das ist keine Kleinigkeit.
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