23. Oktober, 2025

Unternehmen

Lufthansa zwischen Standortkosten und Strukturwandel – Carsten Spohr im Ausnahmezustand

Der Lufthansa-Chef spricht über drohende Streckenstreichungen, steigende Kosten und politische Trägheit. Seine Worte klingen wie eine Standortdiagnose für Deutschland – und wie eine Warnung an die Bundesregierung.

Lufthansa zwischen Standortkosten und Strukturwandel – Carsten Spohr im Ausnahmezustand
Carsten Spohr, Lufthansa-Chef: Der Konzernchef warnt, dass sich die Standortkosten in Deutschland seit 2019 verdoppelt haben – und will rund 100 innerdeutsche Flüge pro Woche streichen.

„Wir fliegen inzwischen öfter nach Belgrad als nach Bremen“ – ein Satz, der bleibt

Wenn der Chef der größten europäischen Airline so etwas sagt, ist das mehr als ein Seitenhieb. Es ist eine bittere Bilanz. Carsten Spohr bringt in diesem Satz auf den Punkt, was in Deutschland derzeit schiefläuft: hohe Steuern, langsame Verwaltung, überbordende Regulierung. Der Lufthansa-Konzern, einst Symbol für deutsche Ingenieurskunst und Globalität, zieht sich zunehmend aus seinem Heimatmarkt zurück.

Die Folgen sind messbar: Spohr kündigt an, rund 100 innerdeutsche Flüge pro Woche zu streichen. Regionen wie Münster, Dresden oder Friedrichshafen verlieren ihre Anbindung an internationale Drehkreuze.

„Wir fliegen diese Strecken jeden Tag defizitär“, sagt Spohr – und klingt dabei eher wie ein Sanierer als ein Visionär.

Deutschland verliert den Anschluss – auch in der Luft

Seit 2019, so Spohr, hätten sich die Standortkosten in Deutschland verdoppelt. Sicherheitsgebühren, Flugsicherung, Energiepreise, Steuern – alles teurer als im europäischen Vergleich.

Nur Rumänien erhebt noch höhere Flugsicherungsgebühren. Der Effekt: Lufthansa erwirtschaftet inzwischen über 75 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Der Konzern floriert – aber Deutschland profitiert kaum noch.

Die Entwicklung zeigt ein Grundproblem: Der Standort Deutschland verliert seine Wettbewerbsfähigkeit, selbst in Branchen, die einst als unantastbar galten. Spohrs Klage über Bürokratie und Langsamkeit ist kein Einzelfall – sie reiht sich ein in ein Chor aus Industrie, Mittelstand und Forschung, die alle das gleiche Lied singen: Die Bundesrepublik wird zum Hemmschuh.

Verbindungen wie München–Münster, München–Dresden oder Friedrichshafen–Frankfurt gelten als defizitär – die Lufthansa zieht sich zunehmend aus der Fläche zurück.

Zwischen Drohnen und Defiziten: Wenn Sicherheit zur Schwäche wird

Ein zweites Thema, das Spohr mit unverhohlener Frustration anspricht, ist die Sicherheitspolitik. Hackerangriffe, Drohnenvorfälle, Rollfeld-Proteste – und ein Staat, der laut Spohr „erst handelt, wenn der Schaden bereits eingetreten ist“.


„Wir wollen unsere hohen Sicherheitsstandards wahren, aber sie dürfen uns in Deutschland nicht regelmäßig zur Geisel machen“, sagt er.

Das Wort „Geisel“ ist in diesem Kontext nicht zufällig gewählt. Es trifft einen Nerv: Deutschland erstickt an seinen eigenen Vorschriften, verliert die operative Schlagkraft, für die es einst bekannt war. Flughäfen sind nicht nur Verkehrsknotenpunkte, sie sind Wirtschaftspulse – und ihr Stillstand steht sinnbildlich für ein Land, das stockt.

4000 Stellen weniger, mehr Effizienz – der Umbau von innen

Intern steht die Lufthansa vor einem gewaltigen Umbau. Mit dem Programm „Matrix Next Level“ will Spohr Doppelstrukturen abbauen, vor allem bei Tochter-Airlines wie Swiss, Austrian und Brussels. Rund 4000 Stellen sollen bis 2030 entfallen, die Verwaltung wird um 20 Prozent verschlankt.

Es ist ein Balanceakt: Einerseits kämpft Lufthansa mit steigenden Betriebskosten, andererseits investiert der Konzern massiv in neue Flugzeuge und digitale Systeme. „Unsere Flugzeuge werden künftig wieder weniger Zeit am Boden verbringen, wo sie kein Geld verdienen“, sagt Spohr – eine deutliche Kampfansage an Ineffizienz und Stillstand.

Pünktlich wie seit zehn Jahren nicht – aber zu welchem Preis?

Nach drei chaotischen Sommern mit Verspätungen und Flugausfällen hat Lufthansa reagiert: längere Bodenzeiten, höhere Puffer, Reserveflugzeuge im Wert von 200 Millionen Euro. Das Ergebnis: „In diesem Sommer waren wir so pünktlich wie seit zehn Jahren nicht mehr“, sagt Spohr stolz.

Doch der Preis ist hoch. Längere Umläufe drücken auf die Marge, und Effizienzsteigerung bleibt das große Ziel. Für die Kunden ist das ambivalent: besserer Service, aber auch steigende Ticketpreise. Spohr deutet an, dass Fliegen teurer wird – nicht nur wegen der CO₂-Kosten, sondern wegen der Knappheit an Flugzeugen und Personal.

Fliegen für alle? Ein soziales Gut auf der Kippe

„Die große Errungenschaft, dass Fliegen für alle erschwinglich geworden ist, darf nicht gefährdet werden“, warnt Spohr. Doch genau das passiert.

Die Preiserhöhungen treffen vor allem Familien und Mittelstand, während Business- und First-Class-Buchungen steigen. Der Luftverkehr droht sich wieder zu spalten – in jene, die fliegen können, und jene, die nur noch zuschauen.

Analyse: Lufthansa als Spiegel der deutschen Wirtschaft

Spohrs Interview ist mehr als ein Gespräch über Flugpläne. Es ist ein Lagebericht über Deutschland – präzise, schonungslos, ernüchternd.
Die Lufthansa steht symbolisch für das Land: technisch exzellent, global gefragt, aber zunehmend behindert durch Bürokratie, Kosten und politische Trägheit. Wenn Spohr sagt, dass Lufthansa „öfter nach Belgrad als nach Bremen“ fliegt, dann ist das keine Polemik. Es ist ein Warnsignal.

Ein Konzern, der über Jahrzehnte Deutschlands Flaggschiff war, wird immer internationaler – weil er es im eigenen Land nicht mehr sein kann.

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