Das politische Gleichgewicht kippt
Zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik liegt eine rechtspopulistische Partei in der Sonntagsfrage dauerhaft vor der Union. Laut Insa-Sonntagstrend kommt die AfD auf 27 Prozent, ein Zuwachs um einen Punkt. Die Union folgt mit 25 Prozent, die SPD stagniert bei 14 Prozent. Zusammen erreichen die Regierungsparteien gerade einmal 39 Prozent – zu wenig für eine Mehrheit.
Grüne und Linke liegen jeweils bei 11 Prozent, während FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit jeweils 4 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden. Damit wäre rechnerisch nur eine Koalition aus Union und AfD regierungsfähig – eine Option, die Kanzler Friedrich Merz kategorisch ausschließt.
Merz gegen den Trend
Merz steht vor einem Dilemma: Seine Strategie der „Brandmauer“ gegen rechts wirkt zwar klar in der Haltung, politisch aber zunehmend wirkungslos. Während die AfD weiter zulegt, verliert die Union in fast allen Bundesländern an Zuspruch. Die Partei wirkt ideologisch blockiert – zu konservativ für die Mitte, zu angepasst für die Rechte.
Der CDU-Vorsitzende betont, die AfD bleibe der „Hauptgegner“ der Union. Eine Zusammenarbeit schließt er erneut aus: „Wir werden noch deutlicher machen, was uns von dieser Partei unterscheidet.“ Doch gerade diese Abgrenzung wird innerparteilich immer häufiger infrage gestellt. Einige Landesverbände, insbesondere im Osten, drängen auf pragmatischere Töne.

Die Erosion der Mitte
Der Aufstieg der AfD ist längst kein ostdeutsches Phänomen mehr. In Umfragen erzielt sie auch in westdeutschen Bundesländern zweistellige Ergebnisse. Ihre Wähler sind zunehmend breit gestreut: vom klassischen Protestwähler bis zum ehemaligen CDU-Stammwähler. Der gemeinsame Nenner: Unzufriedenheit – mit Migration, Energiepreisen, Wirtschaftspolitik und einer Regierung, die als abgehoben wahrgenommen wird.
Politikwissenschaftler sehen darin ein strukturelles Problem. Die gesellschaftliche Mitte bröckelt, während Polarisierung und Vertrauensverlust in staatliche Institutionen zunehmen. Die AfD profitiert davon doppelt – sie besetzt die Rolle des Protestes, während die etablierten Parteien zwischen Anpassung und Abwehr schwanken.
Die Zahlen im Überblick
- AfD: 27 % (+1)
- CDU/CSU: 25 % (+1)
- SPD: 14 % (±0)
- Grüne: 11 % (–1)
- Linke: 11 % (±0)
- BSW: 4 % (±0)
- FDP: 4 % (±0)
Eine mögliche Regierungsmehrheit hätten derzeit Union und AfD mit 52 Prozent – ein Szenario, das in Deutschland noch immer als politisches Tabu gilt.
Druck aus den Ländern
In den CDU-Landesverbänden wächst die Nervosität. Besonders in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo die AfD bereits in mehreren Umfragen über 30 Prozent liegt, wird hinter den Kulissen über den künftigen Kurs diskutiert. Einige Funktionäre fordern eine „strategische Neubewertung“ des Umgangs mit der AfD – offiziell bleibt die Linie jedoch unverändert.
Der Bundesvorstand will am Montag erneut über die Kommunikation gegenüber der Partei beraten. Doch der Spagat bleibt: Jede Distanzierung stärkt die AfD bei Protestwählern, jede Annäherung spaltet die eigene Basis.
Ausblick: Eine politische Zeitenwende
Die nächste Landtagswahl steht im März 2026 in Baden-Württemberg an – einem Bundesland, das bislang als stabiler Anker der CDU galt. Doch selbst dort verliert die Partei an Zustimmung: Nur noch 29 Prozent würden aktuell für die Christdemokraten stimmen, fünf Punkte weniger als vor einem Jahr.
Das politische Klima in Deutschland verschiebt sich – leise, aber stetig. Die AfD profitiert vom Misstrauen gegenüber der Ampelregierung und der Orientierungslosigkeit der Union. Die Brandmauer steht noch. Aber sie bröckelt.
