Der deutsche Einzelhandel steht unter Dauerstress. Umsatzflaute, steigende Kosten, Konsumzurückhaltung und die dritte Rezession in Folge belasten die Branche stärker als viele andere Wirtschaftsbereiche.
Und nun droht eine weitere Belastung – aus Sicht vieler Händler womöglich die entscheidende: eine erneute kräftige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns.
HDE fordert Aussetzen der Anpassung
Alexander von Preen, Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE), bringt es auf den Punkt:
„Der Einzelhandel kann weitere Kostensteigerungen nicht mehr schultern.“
In einer Umfrage des Verbands unter rund 550 Unternehmen zeichnet sich ein klares Bild: Zwei Drittel der Befragten rechnen bei einer spürbaren Erhöhung mit negativen Folgen für die Beschäftigung – bis hin zu Entlassungen.
Die Forderung des Verbandes ist daher ungewöhnlich deutlich: eine „Nullrunde“ bei der anstehenden Mindestlohnanpassung, also ein Aussetzen der Erhöhung.
Aktuell liegt der Mindestlohn in Deutschland bei 12,82 Euro pro Stunde. Im Koalitionsvertrag der Ampel war ursprünglich sogar ein Zielwert von 15 Euro bis 2026 als „erreichbar“ skizziert worden.
Die politisch unabhängige Mindestlohnkommission, die paritätisch mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern besetzt ist, wird voraussichtlich noch im Juni über den nächsten Schritt entscheiden.
Das gefährliche Signal für Lohnstrukturen
Die Diskussion um den Mindestlohn geht jedoch weit über die reine Stundenvergütung hinaus. Höhere Mindestlöhne führen automatisch zu Anpassungen in den tariflichen Entgeltsystemen.
Von Preen warnt: „Eine weitere Anhebung des Mindestlohns führt dazu, dass die Entgelte in kollektiven Entgeltsystemen insgesamt angehoben werden müssen.“ Arbeitgeber müssten die Abstände zwischen den einzelnen Lohngruppen wahren, um betriebsinternen Konflikten vorzubeugen.

Laut HDE fürchten 84 Prozent der befragten Unternehmen genau solche Verwerfungen in den Belegschaften.
Tatsächlich ist dieser sogenannte Lohnabstands-Effekt ein ökonomischer Verstärker: Aus einer Erhöhung an der Untergrenze wird eine Kostenlawine entlang aller Entgeltgruppen – von den Verkaufskräften bis zur Filialleitung.
Politischer Druck auf die Kommission wächst
Während der Einzelhandel Alarm schlägt, erhöht die Politik den Druck auf die unabhängige Kommission. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch kündigte zuletzt an, man werde „gesetzgeberisch tätig“, sollte das Gremium nicht auf die Marke von 15 Euro gehen.
Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) reagiert empört. Präsident Dirk Jandura fordert die Politik auf, sich zurückzuhalten: „Die Kommission soll im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitgeber handeln, nicht im Interesse des aktuellen Politbarometers.“
Die politische Instrumentalisierung der Kommission ist dabei durchaus heikel: Laut Gesetz ist sie eigentlich dazu verpflichtet, eine „angemessene Mindestlohnhöhe“ zu ermitteln, die sowohl den Beschäftigten zugutekommt als auch die Beschäftigungsentwicklung nicht gefährdet. Ein Spagat, der angesichts der aktuellen Wirtschaftslage zunehmend schwieriger wird.
Strukturelle Belastung für die gesamte Branche
Der Einzelhandel steht exemplarisch für eine Vielzahl personalintensiver Branchen mit niedrigen Margen. Nach Berechnungen des Center of Automotive Management erzielten Händler zuletzt nur noch eine EBIT-Marge von 6,3 Prozent – ein deutlicher Rückgang gegenüber dem Vorjahr.
Während große Handelsketten wie Aldi, Lidl oder Rewe teils noch Skalenvorteile nutzen können, geraten kleine und mittelständische Händler durch steigende Personalkosten zunehmend in Existenznöte.
Hinzu kommt die anhaltende Konsumzurückhaltung der Verbraucher. Inflation, hohe Zinsen und wirtschaftliche Unsicherheit lassen die privaten Haushalte sparen.
Das trifft vor allem jene Händler, die auf den inländischen Konsum angewiesen sind. Eine weitere Kostenbelastung durch steigende Mindestlöhne könnte für manche der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Ein Balanceakt mit Signalwirkung für den gesamten Arbeitsmarkt
Die Debatte um den Mindestlohn wird inzwischen zu einem Lackmustest für die Lohnpolitik insgesamt. Gewerkschaften verweisen auf die Kaufkraft der Beschäftigten und argumentieren, dass nur steigende Löhne den Binnenkonsum stabilisieren könnten. Arbeitgeber hingegen sehen den ohnehin stark regulierten Arbeitsmarkt durch weitere Belastungen gefährdet.
Viele warnen, dass durch zu starke Eingriffe in die Lohnbildung letztlich Schwarzarbeit, Automatisierung und Arbeitsplatzverluste zunehmen könnten.
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