Ein Papier, das eigentlich niemand sehen sollte
Die Pläne sind ambitioniert – und brisant. Anfang Mai verfasst, mit „Version 1.0“ betitelt und als „streng geheim“ eingestuft, kursiert ein internes Dokument des Münchner Rüstungs-Start-ups Helsing, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte.
Als Fragen dazu auftauchen, antwortet prompt ein Anwalt der Kanzlei Hogan Lovells: Die Verbreitung des Inhalts könne „gravierende und nicht wiedergutzumachende Schäden“ für Helsing und „die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ verursachen.
Solche Sätze hört man selten, wenn es um Start-ups geht. Doch Helsing ist kein gewöhnliches Tech-Unternehmen.
Vom KI-Start-up zum Systemanbieter für den Krieg
Gegründet 2021, ausgestattet mit über einer Milliarde Euro Wagniskapital, galt Helsing lange als Hoffnungsträger für die Digitalisierung der westlichen Verteidigung. Künstliche Intelligenz zur Analyse von Sensor- und Gefechtsdaten – das war der Kern.
Doch mit dem Kauf des bayerischen Flugzeugbauers Grob Aircraft signalisiert das Unternehmen etwas anderes: Helsing will nicht nur Software liefern, sondern komplette Luftkampfsysteme.
Und zwar solche, die bewaffnet sind.

Drohnen-Bomber für Europa?
Das geheime Dokument legt nahe, dass Helsing in den Wettbewerb um unbemannte, mehrere Tonnen schwere Luftfahrzeuge einsteigen will – inklusive Waffensystemen, möglicherweise auch Bomben mit Hunderten Kilo Gewicht. Was bislang vor allem große Konzerne wie Airbus oder Rheinmetall beschäftigte, rückt damit auch in die Reichweite eines Start-ups.
Was fehlt, ist die Erfahrung mit komplexer Missionsavionik – also der Steuerung, Navigation und Sensorik für militärische Einsätze. Doch das scheint Helsing nicht zu stören. Im Gegenteil: Der Vorstoß ist bewusst gewählt – in eine Branche, in der Schnelligkeit und politische Nähe immer wichtiger werden als jahrzehntelange Ingenieurstradition.
„Reale Gefahr“ für Airbus
Die Pläne sind ein Affront gegen Airbus. Denn noch vor Kurzem war Helsing dort als Partner im Gespräch, etwa für KI-Lösungen beim „Wingman“-Projekt – einer unbemannten Begleitdrohne für den Eurofighter.
Doch dieses Projekt gilt inzwischen als überkomplex und zu teuer. Und Helsing, das mit Grob nun Hardwarekompetenz ins Haus holt, könnte Airbus ganz ersetzen.
Ein Rüstungsmanager bringt es auf den Punkt: „Das ist eine reale Gefahr.“ Nicht nur, weil Helsing ehrgeizig ist – sondern weil sie wissen, wie man sich politisch positioniert.
Die Nähe zur Politik – mehr als nur ein Türöffner
Helsing-Co-CEO Gundbert Scherf war Berater im Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen. Die Wege ins BMVg sind also nicht weit – und die Zeit drängt. Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert „Kriegstüchtigkeit“ bis 2029, doch klassische Beschaffungsprozesse gelten als zu langsam.
Die Direktvergabe wird zur realen Option. Wenn Sicherheitsinteressen betroffen sind, kann die Bundeswehr auf langwierige Ausschreibungen verzichten – und einem Anbieter wie Helsing direkt den Zuschlag geben.
Das Interesse an größtmöglicher Diskretion beim durchgestochenen Dokument dürfte auch daher rühren.
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Geld spielt keine Rolle – solange die Vision stimmt
Nach dem Kauf von Grob sammelte Helsing weitere 600 Millionen Euro bei Investoren ein. Genug, um das Projekt eines bewaffneten, unbemannten Luftkampfsystems in den Prototypstatus zu treiben – auch ohne staatlichen Auftrag.
Branchenkenner vermuten allerdings, dass Scherf das Geld eher für weitere Übernahmen einsetzt. Das Ziel: vertikale Integration. Helsing will vom Sensor über die Steuerung bis hin zur Drohne alles selbst liefern.
Ein Modell, das in der Verteidigungsindustrie in Europa kaum ein anderer Anbieter so offensiv verfolgt.
Geheimhaltung mit Grauzonen
Der Vermerk „streng geheim“ auf dem internen Dokument sorgt für Irritationen. Denn formell handelt es sich nicht um eine Verschlusssache im Sinne des Sicherheitsgesetzes.
Auch auf Nachfrage bleibt der Anwalt vage. Es gehe um „Geschäftsgeheimnisse“, nicht um offizielle Einstufungen. Der Vorfall wirft Fragen auf: Will Helsing mit juristischem Druck verhindern, dass unangenehme Details öffentlich werden – oder steht tatsächlich nationale Sicherheit auf dem Spiel?
Ein Unterschied, der für die Vergabe öffentlicher Milliardenaufträge entscheidend sein kann.
Ein Start-up mit der Lizenz zur Aufrüstung
Während in Europa noch über ethische Leitplanken und Exportkontrollen diskutiert wird, schafft Helsing Fakten. Wer in Tussenhausen, dem Sitz von Grob Aircraft, heute aus dem Fenster blickt, sieht keine Kampfjets. Doch genau das könnte sich bald ändern. Wo bislang Trainingsmaschinen für zivile Piloten gefertigt wurden, könnten schon in wenigen Jahren autonome Waffenträger vom Band laufen.
Nicht als Zukunftsvision – sondern als Option, die längst vorbereitet wird.
Der Preis der Geschwindigkeit
Helsing steht exemplarisch für den Wandel in der europäischen Rüstungsindustrie: Weg vom behäbigen Industriekonsortium, hin zu wendigen, technologiegetriebenen Akteuren mit klarer politischer Unterstützung. Der Preis dafür: weniger Kontrolle, weniger Transparenz – und ein Machtzuwachs für Unternehmen, die auch über Regierungsnähe und Marketing punkten.
Die Frage ist nicht mehr, ob Helsing ein System für den bewaffneten Drohneneinsatz baut. Sondern, wie weit sie damit kommen, bevor jemand sie stoppt.
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