Ein geopolitisches Machtspiel unter Brüdern
Die Opec plus, das erweiterte Ölkartell unter Führung von Saudi-Arabien und Russland, hat am Wochenende Fakten geschaffen: Statt wie geplant in Trippelschritten kehrt das Bündnis zu einer deutlich aggressiveren Förderpolitik zurück – mit 548.000 zusätzlichen Barrel pro Tag ab August.
Das ist die vierte Erhöhung in Folge und die bislang größte. Offiziell begründet die Allianz den Kurswechsel mit „stabilen Wirtschaftsaussichten“ und „gesunden Marktgrundlagen“. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Hier wird kein Markt beruhigt – hier wird ein Signal gesetzt.
Kasachstan im Fadenkreuz
Der wahre Grund für die Förderoffensive dürfte in den eigenen Reihen liegen. Denn ein Mitglied tanzt aus der Reihe – und zwar deutlich. Kasachstan hat im Mai 331.000 Barrel pro Tag mehr gefördert, als ihm laut Opec-plus-Quote zustand.
Auch Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate lagen mit jeweils über 60.000 Barrel über ihren vereinbarten Mengen. Insbesondere Kasachstan entzieht sich der Kontrolle, weil dort vor allem private, westliche Unternehmen die Förderung betreiben – mit wenig Interesse an Opec-Disziplin.

Statt diplomatischer Mahnungen greift die Opec plus nun zur Keule: Mehr Angebot, niedrigere Preise, geringere Einnahmen – das ist der wirtschaftliche Druck, der helfen soll.
Schon 2020 hatte Saudi-Arabien auf ähnliche Weise Russland diszipliniert: Es flutete den Markt mit Öl, woraufhin die Preise kollabierten und Moskaus Einnahmen dramatisch sanken.
Der Preis der Disziplin
Der Opec plus geht es auch um Gerechtigkeit – oder um das, was man dort dafür hält. Während Schwergewichte wie Saudi-Arabien Millionen Barrel vom Markt nehmen, um die Preise zu stützen, kassieren andere Mitglieder am stabilen Ölpreis mit – ohne ihren Teil beizutragen.
Diese Schieflage hat bei den disziplinierten Mitgliedern offenbar das Maß voll gemacht.
„Wenn sich einzelne Länder nie an ihre Quoten halten, sind die Maßnahmen der Opec plus nicht glaubwürdig“, warnt UBS-Analyst Giovanni Staunovo. „Trittbrettfahrer sind nicht erwünscht.“
Die Analysten der Bank of America sehen das ähnlich. In einem Marktkommentar schreiben sie, Saudi-Arabien sei nicht mehr bereit, „die Last einer Produktionskürzung allein zu schultern“.

Die Entscheidung zur Förderausweitung ist damit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch motiviert: Wer sich nicht an die Regeln hält, bekommt die Rechnung präsentiert – in Barrel, nicht in Worten.
Strategiewechsel mit doppeltem Boden
Offiziell galt eigentlich noch der Beschluss vom November 2023: Die im Vorjahr freiwillig gekürzte Fördermenge von 2,2 Millionen Barrel pro Tag sollte bis Ende 2025 schrittweise wieder zurück auf den Markt.
Doch seit Mai wird dieser Plan mit Füßen getreten. Dreimal hintereinander wurde die Produktion dreimal schneller erhöht als ursprünglich geplant – und nun folgt ein weiterer Sprung. In wenigen Monaten könnte das künstlich verknappte Angebot komplett zurück am Markt sein.
Dabei liegt der Zielpreis von 90 Dollar pro Barrel, auf den Saudi-Arabien und Russland zur Finanzierung ihrer Staatshaushalte angewiesen sind, in weiter Ferne: Die Nordseesorte Brent notiert derzeit bei rund 68 Dollar, die US-Sorte WTI bei 67 Dollar. Von stabil ist da wenig zu sehen – eher von einer Nervosität, die die Opec plus zu neuem Aktionismus zwingt.
Rückgewinnung von Marktanteilen
Ein weiterer Aspekt: Der Machtkampf mit den USA. Denn während die Opec plus in den vergangenen Jahren fleißig kürzte, haben US-Schieferölproduzenten Marktanteile gewonnen.
Zwar ist deren Förderung teurer – aber unter einem Preis von 60 Dollar wird auch sie unattraktiv. Die jetzige Ausweitung könnte daher auch eine gezielte Strategie sein, um amerikanischen Produzenten das Leben schwerer zu machen.
Gleichzeitig bleibt die Frage offen, wie viel zusätzliche Kapazität die Opec plus überhaupt hat. Analyst Staunovo stellt offen infrage, ob das Kartell wirklich die volle Menge zurückbringen kann.
Die aktuelle Erhöhung wirkt somit auch wie ein Stresstest für die eigene Schlagkraft: Wer kann liefern – und wer hat nur geblufft?
Was jetzt auf dem Spiel steht
Für den Ölmarkt bedeutet die neue Linie vor allem eines: Unsicherheit. Denn ein kartellgesteuertes Angebot war bislang der Anker für viele Energieprognosen – dieser Anker ist nun brüchig.
Sollte sich zeigen, dass die Opec plus weniger Kapazitäten hat als angekündigt, könnte das Vertrauen der Marktteilnehmer weiter sinken. Umgekehrt könnten dauerhaft niedrige Preise die Fördermoral weiter untergraben – auch bei bislang disziplinierten Ländern.
Klar ist: Die Opec plus spielt nicht mehr nur Markt, sie spielt Macht. Und die Trittbrettfahrer, allen voran Kasachstan, stehen nun unter Druck. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer sich nicht fügt, wird unterboten – mit den eigenen Waffen.
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