13. Juni, 2025

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Nur Bares ist Wahres? – Warum Deutschland wieder mehr Bargeld hortet

Bargeld verliert im Alltag an Bedeutung – doch nie zuvor lagerten die Deutschen mehr Scheine zu Hause. Der Trend ist rational, emotional und politisch zugleich. Und er bekommt Rückenwind von überraschender Seite.

Nur Bares ist Wahres? – Warum Deutschland wieder mehr Bargeld hortet
Rekordwert: Rund 400 Milliarden Euro Bargeld befinden sich aktuell im Umlauf – obwohl nur noch gut jede zweite Transaktion bar erfolgt.

Vor einem gut besuchten Imbiss stehen Menschen Schlange – doch nicht alle schaffen es bis zur Frühlingsrolle. Denn am Eingang hängt ein unscheinbares Schild: „Nur Barzahlung“. Für Kartenzahler endet die Mittagspause damit vor dem Tresen. Solche Szenen sind nicht ungewöhnlich.

Und doch wirken sie wie Relikte einer Zeit, in der Scheine und Münzen den Alltag bestimmten. Dabei ist es genau dieses Bargeld, das in Deutschland ein bemerkenswertes Comeback feiert.

Mehr Bargeld im Umlauf – obwohl es kaum noch genutzt wird

Deutschland ist eines der letzten großen Industrieländer, das sich dem digitalen Bezahlen lange widersetzte. Zwar geht auch hierzulande der Trend seit Jahren weg vom Bargeld – doch kurioserweise steigt gleichzeitig der Bestand an Bargeld stetig.

Laut Bundesbank wuchs er im vierten Quartal 2024 erneut kräftig um zehn Milliarden Euro – auf insgesamt rund 400 Milliarden. Das ist nicht nur viel. Das ist Rekord.

Bargeld: Was für und gegen eine Abschaffung spricht
Bargeld verliert an Bedeutung - hat aber weiter viele Anhänger. Eine Abschaffung steht nicht zur Debatte, doch die Einschränkungen nehmen zu.

Gleichzeitig sank der Anteil der Barzahlungen an allen Transaktionen auf knapp 51 Prozent. Zum Vergleich: In Schweden liegt der Wert unter fünf Prozent. Die Deutschen bezahlen also seltener mit Bargeld – aber sie horten es wie nie zuvor. Die Bundesbank spricht nüchtern vom „Bargeld-Paradox“.

Die Ursachen? Eine Mischung aus wirtschaftlicher Unsicherheit, Zinswende, Psychologie – und einem gewissen Misstrauen.

Wenn Zinsen sinken, steigt das Vertrauen in den Tresor zu Hause

Nach Jahren der Negativzinsen boten Banken zeitweise wieder attraktive Festgelder – bis zu fünf Prozent pro Jahr waren möglich. Doch mit der jüngsten Leitzinssenkung ist diese Phase schon wieder vorbei.

Die Renditeunterschiede zwischen Tagesgeld, Festgeld und Bargeld schmelzen. Wer sein Geld im Schließfach oder unter dem Kopfkissen lagert, verliert kaum mehr Zinsen – hat es aber jederzeit verfügbar.

Gerade in wirtschaftlich unruhigen Zeiten ist das ein Argument, das wirkt. Julia Pitters, Wirtschaftspsychologin in Wien, spricht von „emotionalem Sicherheitsbedürfnis“. Menschen griffen in Krisenzeiten auf das zurück, was vertraut sei: das Greifbare, das Echte – Bargeld eben. Es signalisiere Kontrolle. Und es sei eine Art psychologische Versicherung gegen den Kontrollverlust.

PayPal gegen die Bargeld-Romantik

Der US-Bezahldienstleister PayPal sieht das naturgemäß anders – und stichelt seit Wochen mit großflächigen Plakatkampagnen:

„Du liebst Bargeld. Aber hat Bargeld dich jemals zurückgeliebt?“

Der Unterton: Wer bar bezahlt, lebt nicht nur rückständig – er verschließt sich auch einer bequemeren, moderneren Welt. Das hat viele in Deutschland provoziert. Denn für viele ist Bargeld kein Technikersatz – sondern ein Symbol für Selbstbestimmung.

Bargeld als soziale Konstante – und pädagogisches Werkzeug

Auch abseits der ökonomischen und politischen Debatte spielt Bargeld im Alltag vieler Menschen eine Rolle, die schwer digital zu ersetzen ist: Es hilft Kindern, den Umgang mit Geld zu lernen. Es macht Geschenke greifbar.


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Und es funktioniert immer – unabhängig vom Akku, WLAN oder Serverstatus. Die Bundesbank geht davon aus, dass rund 42 % der im Umlauf befindlichen Scheine ausschließlich zur Wertaufbewahrung dienen – also nie den Weg zur Ladenkasse finden.

Schattenseite Schwarzgeld – Politik zieht Konsequenzen

Wo Bargeld ist, ist auch Schwarzgeld. Laut Schätzungen von Experten verursacht allein die Geldwäsche in Deutschland jährlich Schäden von bis zu 100 Milliarden Euro. Als Gegenmaßnahme tritt 2027 die EU-weit geltende Bargeld-Obergrenze von 10.000 Euro in Kraft.

Zahlungen darüber müssen dokumentiert und erklärt werden. Schon jetzt müssen Händler bei hohen Bargeldbeträgen Identitätsprüfungen vornehmen – zum Missfallen von Autohändlern, Juwelieren und Goldhändlern.

Digitaler Euro in Vorbereitung – aber kein Ersatz

Trotz allem soll Bargeld rechtlich geschützt bleiben. Im kommenden Jahr will die EU entscheiden, ob der digitale Euro kommt – eine digitale Ergänzung zur Banknote, kein Ersatz.

Und auch in Deutschland verspricht der Koalitionsvertrag: „Wir erhalten das Bargeld als gängige Zahlungsform.“ Die Zukunft, so heißt es offiziell, soll aus echter Wahlfreiheit bestehen – bar oder digital.

Revolut entdeckt den Geldautomaten neu

Selbst Digitalplayer wie die britische Challengerbank Revolut planen plötzlich mit Bargeld – und stellen eigene Automaten auf, erst in Spanien, bald auch in Deutschland.

Kunden sollen dort kostenlos Bargeld ziehen können. Warum? Weil Bargeld eben nicht stirbt. Sondern lebt. Und zwar kräftiger, als viele erwartet hätten.

Schweden warnt vor digitaler Übermacht

Auch die Vorbilder aus dem hohen Norden rudern zurück. Die schwedische Zentralbank rief kürzlich dazu auf, wieder mehr Bargeld zu nutzen.

Der Grund ist sicherheitspolitischer Natur: Sollte es zu Cyberangriffen kommen, brauche es ein funktionierendes analoges Zahlungssystem. Bargeld wird hier nicht als Bremse der Digitalisierung gesehen – sondern als Notfallplan.

Der Zugang entscheidet über die Zukunft

Eines der größten Probleme für Barzahler ist inzwischen nicht mehr die Akzeptanz im Handel, sondern die Erreichbarkeit. Das Netz der Geldautomaten dünnt aus.

Laut Bundesbank beträgt der durchschnittliche Weg zur nächsten Bargeldquelle zwar nur 1,4 km. Doch die Zahl derer, die den Zugang als schwierig empfinden, hat sich seit 2021 mehr als verdoppelt.

Bargeld lebt – aus Vernunft, Gefühl und Vorsicht

Bargeld ist mehr als ein Zahlungsmittel. Es ist ein kulturelles Statement, eine Sicherheitsmaßnahme, ein Traditionsanker. Wer glaubt, es verschwinde bald, unterschätzt die deutsche Seele – und die ökonomische Ratio. Bargeld ist unbequem, schwerfällig, leicht zu verlieren – und trotzdem bleibt es relevant. Vielleicht gerade deshalb.

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