Flucht vor dem Krieg – und vor verschlossenen Türen
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben Tausende junge Russen versucht, sich der Einberufung zu entziehen. Viele flohen nach Georgien, Kasachstan – oder eben nach Deutschland.
Allein hierzulande beantragten 6374 Männer zwischen 18 und 45 Jahren Asyl. Die Hoffnung: nicht in Putins Krieg geschickt zu werden. Die Realität: Nur 349 von ihnen wurden anerkannt.
Eine Zahl, die nicht nur niedrig, sondern geradezu irritierend ist. Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger nennt sie „beschämend“. Angesichts von hunderttausenden Deserteuren, die Russland in den letzten drei Jahren verlassen haben, sei das ein politisches Armutszeugnis.
Großes Versprechen, kleiner Einsatz
2022 war der Ton noch ein anderer. Kurz nach Kriegsbeginn erklärte der damalige Kanzler Olaf Scholz, Deserteuren aus Russland Schutz gewähren zu wollen. Heute, über drei Jahre später, wirkt dieses Versprechen hohl.
Die meisten der eingereichten Asylanträge wurden abgelehnt oder gar nicht abschließend bearbeitet. Die Bundesregierung beruft sich auf Einzelfallprüfungen – doch das Ergebnis wirkt systematisch: ablehnend.
Dabei ist der Hintergrund klar: Russland beruft zweimal im Jahr mehr als 100.000 junge Männer ein, bei der letzten Runde sogar 160.000. Offiziell sollen Wehrpflichtige nicht im Krieg eingesetzt werden. Inoffiziell sieht das anders aus – sie tauchen immer wieder in Gefechten im Grenzgebiet auf.
Deutschland zeigt sich zugeknöpft
Wer nicht kämpfen will, soll bei uns Zuflucht finden – so der moralische Anspruch. Die Praxis sieht anders aus. Für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) reicht ein Verweis auf den Einberufungsbescheid nicht.

Es braucht Beweise, persönliche Bedrohungslagen, Dokumentationen. Dass jemand einem autoritären Staat entkommen will, genügt offenbar nicht.
Kritiker werfen den Behörden vor, zu formalistisch zu handeln. Denn selbst wenn das Völkerrecht für Deserteure klare Schutzregelungen vorsieht – das deutsche Asylrecht bleibt streng. Vor allem, wenn es um Kriegsdienstverweigerung geht.
Angst vor Spionen? Angst vor Kontroversen?
Ein Grund für die ablehnende Haltung dürfte auch die politische Stimmung sein. Immer wieder warnen deutsche Sicherheitsbehörden vor möglichen russischen Spionen, die sich unter Asylbewerber mischen könnten.
Die Sorge ist nachvollziehbar – darf aber nicht dazu führen, dass pauschal abgewiesen wird, wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert.
Zudem passt das Thema nicht in die aktuelle politische Debatte. In Deutschland wird wieder offen über die Rückkehr zur Wehrpflicht diskutiert. Da wirkt Schutz für ausländische Kriegsdienstverweigerer fast wie ein Tabubruch.
Das Grundrecht auf Verweigerung – in der Sackgasse?
„Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung steht in Zeiten von Aufrüstung und Militarisierung unter Druck“, sagt Clara Bünger. Nicht nur in Russland, sondern auch hier. Wer heute aus moralischen Gründen den Dienst an der Waffe ablehnt, wird rasch in die Ecke der Feiglinge oder gar Verräter gestellt.
Doch genau darin liegt die Ironie: Während Deutschland Solidarität mit der Ukraine beschwört, versagt es denen Schutz, die selbst nicht Teil dieses Krieges werden wollen – und dafür alles zurücklassen. Heimat, Sprache, Familie.
Ein humanitäres Problem – und eine politische Frage
Natürlich: Nicht jeder Asylantrag kann bewilligt werden. Und ja, Sicherheit muss ernst genommen werden. Aber die Quote von 349 Schutzgewährungen bei über 6300 Anträgen wirft Fragen auf. Über die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik. Über den Zustand unseres Asylsystems. Und über unser Selbstverständnis.
Denn wer Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht betrachtet, sollte auch danach handeln. Nicht nur dann, wenn es geopolitisch opportun ist.
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