Der wichtigste Wachstumstreiber der Pharmaindustrie bekommt eine neue Darreichungsform. Novo Nordisk hat in den USA die Zulassung für eine Abnehmpille erhalten, die denselben Wirkstoff enthält wie die milliardenschwere Spritze Wegovy. Die Entscheidung der US-Arzneimittelbehörde FDA markiert einen Einschnitt für den globalen Markt gegen Übergewicht – und verschafft den Dänen einen kurzfristigen Vorsprung vor dem Rivalen Eli Lilly.
Die Börse reagierte prompt. Die Novo-Nordisk-Aktie sprang um rund acht Prozent nach oben, während Lillys Papiere vorbörslich leicht nachgaben. Selten war eine regulatorische Entscheidung so unmittelbar kursbewegend.
Vom Injektor zur Tablette
Die neue Tablette kommt Anfang Januar in den USA auf den Markt. Sie basiert auf demselben GLP-1-Wirkstoff wie Wegovy, verzichtet aber auf die wöchentliche Injektion. Stattdessen nehmen Patienten einmal täglich eine Pille ein. Für viele dürfte genau das den Unterschied machen.

Der Komfort ist der entscheidende Hebel. Tabletten sind einfacher einzunehmen, weniger fehleranfällig und benötigen keine Kühlung. Sie senken die Einstiegshürde für Millionen potenzieller Patienten – vor allem für jene, die sich bislang vor Spritzen gescheut haben oder nach einer Injektionsphase ihr Gewicht stabilisieren wollen.
Etwas weniger Wirkung, aber mehr Alltagstauglichkeit
Medizinisch ist die Pille nicht identisch mit der Spritze. In Studien verloren Patienten mit Novo Nordisks Tablette im Schnitt 16,6 Prozent ihres Körpergewichts – weniger als mit Wegovy, aber mehr als in Vergleichsdaten zur geplanten Lilly-Pille. Der Nachteil liegt im Einnahmemodus: Die Tablette muss nüchtern eingenommen werden, sonst sinkt ihre Wirksamkeit.
Zudem ist sie in der Herstellung teurer als das Konkurrenzprodukt von Lilly, das unabhängig von Mahlzeiten eingenommen werden kann. Analysten, unter anderem von Bernstein, erwarten daher, dass viele Patienten langfristig Lillys Pille bevorzugen könnten – trotz Novos zeitlichem Vorsprung.
Preislich unter den Spritzen
Novo Nordisk setzt beim Markteintritt auf einen aggressiven Preis. Die monatliche Startdosis soll in den USA 149 Dollar kosten und damit deutlich unter den bisherigen Preisen für Spritzen liegen. Lilly ruft für höhere Dosierungen seiner Tablette bis zu 399 Dollar auf. Novo will Details zu höheren Dosierungen erst kurz vor dem Verkaufsstart bekannt geben.
Damit rückt das Produkt näher an ein Massenkonsumgut heran. Abnehmpillen sind günstiger zu produzieren, leichter zu skalieren und einfacher zu vertreiben als Injektionslösungen. Analysten halten langfristig sogar eine rezeptfreie Abgabe für möglich.
Ein Milliardenmarkt mit neuer Dynamik
Der Markt für Medikamente gegen Übergewicht könnte bis 2030 auf bis zu 150 Milliarden Dollar anwachsen. Tabletten allein könnten mittelfristig rund 30 Milliarden Dollar ausmachen. Sie dürften die Spritzen nicht verdrängen, sondern zusätzliche Patientengruppen erschließen – vor allem solche, die bisher außen vor blieben.
Noch dominieren Novo Nordisk und Eli Lilly den Markt. Doch das Zeitfenster schließt sich. Das Patent für Semaglutid, den zentralen Wirkstoff, läuft 2031 aus. Danach dürfte der Wettbewerb deutlich intensiver werden.

Vorsprung ja, Entscheidung nein
Die FDA-Zulassung verschafft Novo Nordisk mehrere Monate Vorsprung. Doch der ist weniger wert, als es auf den ersten Blick scheint. Schon bei der Einführung von Wegovy hatten die Dänen einen Zeitvorteil, den sie wegen Produktions- und Lieferproblemen nicht voll nutzen konnten.
Markus Manns, Portfoliomanager bei Union Investment, bringt es nüchtern auf den Punkt: Entscheidend sei nicht der Starttermin, sondern die Fähigkeit, Produktion und Vertrieb schnell hochzufahren, den Zugang zu Patienten zu sichern und neue Vertriebskanäle zu beherrschen.
Die Börse wettet trotzdem auf Lilly
Langfristig sehen viele Analysten Eli Lilly vorne. Erwartet wird ein Marktanteil von rund 75 Prozent für Lilly, während Novo Nordisk bei etwa 25 Prozent verharren könnte. Der Grund liegt in der einfacheren Einnahme und der Skalierbarkeit der Lilly-Pille.
Diese Erwartung spiegelt sich bereits in der Bewertung wider. Eli Lilly gehört inzwischen zu den wenigen Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über einer Billion Dollar. Novo Nordisk kommt auf rund 213 Milliarden Dollar – und hat im laufenden Jahr etwa die Hälfte seines Börsenwerts verloren.
Die Pille als Wendepunkt
Für Novo Nordisk ist die FDA-Zulassung mehr als ein Produkterfolg. Sie ist der Versuch, die eigene Rolle im wichtigsten Pharmamarkt der kommenden Dekade zu verteidigen. Die Abnehmpille macht das Geschäft skalierbarer, alltagstauglicher und potenziell globaler.
Ob das reicht, um gegen Eli Lilly zu bestehen, ist offen. Sicher ist nur: Mit der Tablette wird der Kampf um den Milliardenmarkt härter – und für Patienten deutlich einfacher.



