08. Dezember, 2025

Unternehmen

Nestlé taumelt – und sucht zwischen Kostendruck, Fehlkäufen und Kulturbrüchen einen Neustart

Der Weltmarktführer für Nahrungsmittel verliert Absatz, Vertrauen und Orientierung. Warum Nestlé in eine Krise rutschte, die tiefer reicht als jede vorherige – und warum der neue CEO kaum Zeit hat, sie zu lösen.

Nestlé taumelt – und sucht zwischen Kostendruck, Fehlkäufen und Kulturbrüchen einen Neustart
Nestlé verliert Absatz und Vertrauen. Preiserhöhungen, Fehlkäufe und eine Führungskrise treiben den Konzern in die schwerste Krise seiner Geschichte.

Ein Konzern spart sich nach innen leer

„Wir sparen uns in den Werken zu Tode“ – der Satz aus dem Brandbrief der deutschen Betriebsräte trifft den Kern einer Krise, die Nestlé seit Jahren unterschätzt hat. 16.000 Stellen sollen weltweit wegfallen, davon 12.000 in der Verwaltung. Für den Gesamtbetriebsratschef Andreas Zorn ist das ein einmaliger Einschnitt. Die Begründung aus der Zentrale: Effizienz. Der Eindruck in den Werken: Kontrollverlust.

Das Narrativ der Belegschaft ist eindeutig. Die Fehler der vergangenen Jahre – Fehlakquisitionen, verpuffte Markenstrategien, unklare Sortimentspolitik – sollen durch Personalabbau kaschiert werden. Qualität und Innovationskraft leiden, während die Organisation weiter ausgedünnt wird. Das Management widerspricht, doch die Proteste zeigen: Die Erosion der internen Glaubwürdigkeit ist weit fortgeschritten.

Die Markenmaschine läuft weiter – doch sie liefert weniger

Mit 91,4 Milliarden Franken Umsatz bleibt Nestlé der größte Nahrungsmittelhersteller der Welt. Doch Größe schützt nicht vor einem Strukturwandel, den die Konkurrenz besser managt. Mondelez, Unilever oder Danone haben die Preisrunden und Kostenschübe der vergangenen Jahre stabiler abgefedert. Nestlé dagegen verliert Absatz, Marktanteile und Marge – ein Dreifachsignal für strategische Fehlsteuerung.

Die massive Preiserhöhungspolitik der vergangenen Jahre hat die Kundschaft spürbar verprellt. Produktbeispiele zeigen die Dimension: Kitkat plus 60 Prozent, After Eight sogar verdoppelt. Dass parallel weniger in Werbung investiert wurde, verstärkte den Effekt. Marken verlieren Attraktivität, wenn sie teurer werden und gleichzeitig seltener präsent sind.

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In vier von sieben Sparten schrumpften 2024 die verkauften Mengen. Die Preisstrategie ließ kaum Alternativen offen: Wachstum gab es fast ausschließlich über Preiserhöhungen, nicht über Verkauf. Das ist das Gegenteil dessen, wofür Nestlé einmal stand.

Eine Führungskrise verschärft den operativen Druck

Nestlé hat in nur 13 Monaten drei CEOs verschlissen. Für Investoren ist dieses Tempo ein Alarmsignal, für die Organisation eine Belastung. Zuerst fiel Mark Schneider nach gescheiterten Akquisitionen und wachsender Kritik an der Portfolioausrichtung. Dann Laurent Freixe, der über eine nicht offengelegte Beziehung stolperte – und damit die Governance-Fragen im Konzern verschärfte.

Philipp Navratil übernahm im September und signalisierte sofort einen harten Kurs. Drei Milliarden Franken Sparprogramm, Leistungsdruck, Portfolioüberprüfung. Für den Börsenkurs war das ein kurzfristiges Beruhigungssignal. Für die Belegschaft war es das Gegenteil. Die Ungewissheit, wer gehen muss, trifft eine Organisation, die bereits mit Standortschließungen kämpft.

Die internen Konfliktlinien reichen bis nach Vevey. Der „Olymp“, wie Mitarbeitende die Zentrale nennen, steht für eine abgehobene Führungskultur, die sich selbst schützt, aber operative Realität zu wenig wahrnimmt. Die Reihe der Rücktritte zeigt, wie stark sich diese Kultur verfestigt hat – und wie schwer sie sich korrigieren lässt.

Produktqualität, Innovation und Sortiment – die strategischen Schwachstellen

Der Kern von Nestlés anhaltender Schwäche liegt nicht in der Kostenseite, sondern in der Produktseite. Rezepturen werden laut Betriebsräten verschlankt, teure Zutaten ersetzt. Kunden merken das – und reagieren.

Auch das Innovationssystem funktioniert nicht mehr. Trends erkennt Nestlé spät, setzt sie langsam um und verliert Anschluss. Beispiele reichen vom Airfryer über Fleischersatz bis hin zu neuen Snackkonzepten. Die Vorzeichen stehen auf Reaktionsmodus statt Gestaltungsanspruch.

Dass Produktentwicklung zunehmend zentralisiert wurde, verschärft das Problem. Regionale Expertise, wie früher im Neusser Thomy-Werk, wurde kaum genutzt. Dabei entscheiden Geschmäcker lokal – ein Punkt, den der Konzern in seinen globalen Strukturen vernachlässigt hat.

Ein zu breites Portfolio wird zum Risiko

Nestlé verkauft rund 2000 Marken – ein Sortiment, das historisch gewachsen ist, strategisch aber kaum noch zu steuern ist. Die 30 größten Marken tragen einen Großteil des Umsatzes, der Rest bindet Ressourcen und lenkt Entscheidungen.

Analysten sehen mehrere Felder zur Bereinigung: Wasser, Vitamine, schwächelnde Tiefkühlsysteme. Doch die Verkäufe der vergangenen Jahre zeigen, dass Desinvestitionen nicht immer planbar sind. Überteuerte Käufe wie The Bountiful Company belasten bis heute die Bilanz.

Zugleich wächst der Druck, Schulden abzubauen. Mit heute rund 60 Milliarden Franken Nettoverschuldung ist Nestlé weit von der soliden Bilanzkultur früherer Jahrzehnte entfernt. Der Zinsberg frisst Gewinne, während das operative Geschäft stagniert.

Der Weg nach vorn ist schmal – aber nicht versperrt

Analysten betonen, Nestlé sei trotz Krise weit vom Sanierungsfall entfernt. Die Marge liegt bei über 16 Prozent, der Free Cashflow bei mindestens acht Milliarden Franken. Der Return on Invested Capital bleibt zweistellig.

Doch diese Stabilität täuscht über einen zentralen Punkt hinweg: Der Konzern verliert seinen strategischen Kern. Preisführerschaft ohne Produktführerschaft funktioniert nicht. Und Kostendisziplin ohne Innovationskraft schafft keine Zukunft.

Navratil und Verwaltungsratschef Pablo Isla müssen nun zwei Stränge gleichzeitig neu knüpfen: ein fokussiertes Portfolio und ein glaubwürdiges Innovationssystem. Beide Felder entscheiden darüber, ob Nestlé wieder wächst – oder weiter schrumpft.

Der Brandbrief der deutschen Betriebsräte bringt es in einem Satz zusammen: „Wenn sich was verändern soll, dann nur mit uns – nicht ohne uns.“ Die Führung in Vevey muss beweisen, dass sie das verstanden hat.

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