Ein kleines Land mit großer Bedeutung
An diesem Sonntag blickt Europa auf ein Land mit nur 2,4 Millionen Einwohnern, eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine: Moldau. Was in Chișinău entschieden wird, ist mehr als nationale Politik. Es ist ein Testfall für Europas Durchhaltevermögen – und für Russlands Fähigkeit, Einfluss in seiner ehemaligen Einflusssphäre zu behaupten.
Proeuropäische Regierung unter Druck
Noch hält die Partei Aktion und Solidarität (PAS) von Präsidentin Maia Sandu die Mehrheit im Parlament. Doch die wirtschaftliche Misere, steigende Preise und ein von Korruption geprägter Alltag könnten die Partei Stimmen kosten. Sollte sie ihre 63 von 101 Sitzen nicht halten, droht ein kompliziertes Koalitionspoker. Moldau kennt das aus der Vergangenheit: instabile Bündnisse, wechselnde Allianzen, politische Blockaden.

Moskaus langer Arm
Sandu erhebt schwere Vorwürfe: Russland pumpe „Hunderte Millionen Euro“ in das Land, um Parteien zu finanzieren, Wähler zu kaufen und junge Leute für Straßenproteste zu rekrutieren. Ermittler haben in der vergangenen Woche landesweit mehr als 70 Verdächtige festgenommen, die angeblich Massenunruhen geplant haben. Einige sollen in Serbien Waffentraining erhalten haben.
Die Botschaft ist klar: Moskau will nicht tatenlos zusehen, wie Moldau sich weiter nach Westen orientiert.
Der Aufstieg prorussischer Kräfte
Trotz Sanktionen und politischer Isolierung könnte der Kreml von diesem Wahlsonntag profitieren. Der Patriotische Block, ein Bündnis aus vier Parteien, darunter die Sozialisten des früheren Präsidenten Igor Dodon und die Kommunisten um Ex-Staatschef Vladimir Voronin, hofft auf zweistellige Ergebnisse.
Kurz vor der Wahl wurde allerdings „Herz Moldaus“ – eine der zentralen Parteien des Bündnisses – wegen mutmaßlicher Finanzverstöße von der Wahl ausgeschlossen. Ob das dem prorussischen Lager schadet oder es eher mobilisiert, ist offen.
Alternativa – die urbane Gegenbewegung
Neben den altbekannten Lagern mischt auch der Wahlblock Alternativa mit, getragen vom Bürgermeister der Hauptstadt Ion Ceban und Ex-Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo. Sie versuchen, sich als Alternative zum Dauerstreit Ost gegen West zu positionieren. Doch auch sie könnten im Falle eines Patt zu einem Zünglein an der Waage werden.
Europas Interesse – und Sandus Rückhalt
Seit 2022 ist Moldau offizieller EU-Beitrittskandidat. Für die EU geht es nicht nur um geopolitische Symbole, sondern auch um Stabilität an ihrer Ostflanke. Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Regierungschef Donald Tusk reisten zuletzt demonstrativ nach Chișinău, um Sandu zu stützen.
Ihre Botschaft: Moldau gehört in die europäische Familie. Doch die Realität vor Ort ist härter. Das Land bleibt tief gespalten, die Diaspora hat ein entscheidendes Gewicht – 2024 verdankte Sandu ihren Sieg den Stimmen aus Westeuropa. In Russland dagegen sind für Hunderttausende Moldauer gerade einmal zwei Wahllokale geöffnet.
Transnistrien als Schachfigur
Ein ungelöstes Kapitel bleibt Transnistrien, das abtrünnige Gebiet mit russischen Truppenpräsenz. Für Moskau ist es ein Hebel, für Moldau ein Sicherheitsrisiko. Jeder Wahlausgang, der zu einer stärkeren proeuropäischen Regierung führt, verschärft die Spannung in dieser Region.
Warum die Wahl mehr ist als Innenpolitik
Für den Kreml ist Moldau ein geopolitischer Test. Gelingt es, die fragile Demokratie durch Geld, Einflussoperationen und politische Allianzen ins Wanken zu bringen, wäre das ein Signal weit über die Grenzen des Landes hinaus – auch in Richtung Ukraine und Georgien.
Für die EU wiederum steht die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel: Kann Brüssel einem kleinen, verarmten Staat tatsächlich Stabilität und Perspektive geben, oder bleibt die Integration ein leeres Versprechen?
