17. Juni, 2025

Politik

Milliardenpoker beim Netzausbau – Tennet will zurück an die Oberfläche

Milliardenpoker beim Netzausbau – Tennet will zurück an die Oberfläche
Teure Energiewende unter der Erde: Das Verlegen von Erdkabeln kostet bis zu dreimal mehr als der Bau klassischer Freileitungen – bei Großprojekten summieren sich die Mehrkosten auf zweistellige Milliardenbeträge.

Zurück zur Freileitung

Der Netzausbau wird für Deutschland immer teurer. Milliarden fließen in den Ausbau der großen Stromautobahnen, die Windenergie aus dem Norden in den Süden transportieren sollen.

Jetzt fordert Tennet-Chef Tim Meyerjürgens einen radikalen Kurswechsel: Weg von den aufwendig vergrabenen Erdkabeln, zurück zu den klassischen Freileitungen.

„Der Neustart der Genehmigungsverfahren bietet jetzt die Chance, noch rechtzeitig umzusteuern“, sagt Meyerjürgens.

Die Rechnung ist einfach: Für die drei anstehenden Großprojekte OstWestLink, SuedWestLink und NordWestLink könnten durch den Verzicht auf Erdkabel mindestens 20 Milliarden Euro eingespart werden, rechnet Tennet vor.

Und nicht nur der Staat würde profitieren. Sinkende Kosten beim Bau würden langfristig auch die Netzentgelte für alle Verbraucher senken – um rund einen Cent je Kilowattstunde, so Meyerjürgens.

Bundesnetzagentur sieht hohes Einsparpotenzial

Auch die Bundesnetzagentur bestätigt grundsätzlich das hohe Sparpotenzial. Allerdings schätzt die Behörde die Einsparungen etwas vorsichtiger auf 16,5 Milliarden Euro.

Doch der mögliche Richtungswechsel hätte einen Haken: „Ein Schwenk zu Freileitungen würde die Planung dieser bisher als Erdkabel geplanten Vorhaben zeitlich zurückwerfen“, warnt eine Sprecherin.

Die Zeit drängt. Der Ausbau des Stromnetzes hinkt schon heute dem wachsenden Bedarf hinterher. Verzögerungen könnten die Energiewende weiter bremsen – und das in einer Phase, in der jede Kilowattstunde dringend gebraucht wird.

Der Ursprung des Erdkabelvorrangs

Seit 2016 gilt in Deutschland der sogenannte Erdkabelvorrang. Er wurde eingeführt, um Proteste gegen neue Stromleitungen abzufangen.

Vor allem in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern war der Widerstand gegen die mächtigen Strommasten massiv. Bürgerinitiativen wetterten gegen „Monstertrassen“, Politiker fürchteten den Ärger der Wähler.

Politisch gewollt, finanziell umstritten: Der Erdkabelvorrang von 2016 sollte Bürgerproteste beruhigen – hat aber maßgeblich zur Kostenexplosion beim Netzausbau beigetragen.

Der politische Kompromiss lautete damals: Erdkabel statt Freileitungen. Optisch unsichtbar, aber deutlich teurer. Für die Großprojekte wie SuedLink, SuedOstLink oder die neuen Nord-Süd-Verbindungen explodierten die Kosten. Und selbst der Erdkabelvorrang konnte die Proteste nicht immer verhindern.

Politisch heikel

Die Argumente von Tennet treffen in Berlin einen empfindlichen Nerv. Der Bundeshaushalt ächzt, die Kosten der Energiewende steigen, Finanzminister Christian Lindner sucht an allen Ecken nach Einsparungen. 20 Milliarden Euro weniger für den Netzausbau wären politisch attraktiv.

Doch einfach wird die Kehrtwende nicht. Kaum ein Politiker will den Zorn der Bürgerinitiativen wieder auf sich ziehen. Der Imageschaden von „Monstertrassen“ ist noch präsent, besonders in den Regionen, durch die die neuen Leitungen laufen sollen.

Die Bundesregierung steckt damit in einem Dilemma: Ökonomisch wäre der Schwenk zu Freileitungen rational – gesellschaftlich bleibt er ein Risiko.

Amprion hält sich zurück

Auch der zweite große Netzbetreiber Amprion, der an mehreren Gleichstromprojekten beteiligt ist, reagiert vorsichtig.

In einer knappen Erklärung heißt es, man werde sich selbstverständlich „an den gesetzlichen Rahmen halten“. Übersetzt: Man wartet erst einmal ab, ob die Politik den Mut aufbringt, den Erdkabelvorrang überhaupt infrage zu stellen.

Energiewende unter Kostendruck

Der Vorschlag von Tennet zeigt ein grundsätzliches Problem der deutschen Energiewende: Die politischen Kompromisse der Vergangenheit werden jetzt finanziell spürbar.

Jeder Kilometer Erdkabel kostet ein Vielfaches dessen, was eine Freileitung benötigt. Hinzu kommen aufwendige Genehmigungsverfahren, Bodenuntersuchungen, Bauverzögerungen.

Und der Bedarf an neuen Leitungen steigt weiter. Der Ausbau der Windkraft im Norden, der Hochlauf der Elektromobilität und die steigende Industrieproduktion im Süden verschärfen den Druck auf das Netz.

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