09. Juni, 2025

Unternehmen

Milliardendeal in den USA, Stellenabbau in Deutschland – was bei Biontech wirklich los ist

Während Biontech seinen Umbau zum globalen Krebsmedizinriesen feiert, wächst in der Heimat die Wut. Hunderte Jobs sollen wegfallen – ausgerechnet dort, wo das Unternehmen groß wurde.

Milliardendeal in den USA, Stellenabbau in Deutschland – was bei Biontech wirklich los ist
Neue Allianzen, alte Kritik: Mit Bristol Myers Squibb hat Biontech einen US-Partner an Bord geholt – doch in Deutschland fehlt es laut IGBCE an Tarifbindung, Transparenz und Mitbestimmung.

Milliardenspritze aus den USA

Mainz, Marburg, Idar-Oberstein – während an diesen Orten die Unsicherheit wächst, geht bei Biontech in Sachen Zukunft alles sehr schnell. Gerade erst hat das Unternehmen einen Mega-Deal mit dem US-Pharmariesen Bristol Myers Squibb verkündet.

Quelle: Eulerpool

Ziel: die gemeinsame Entwicklung von Therapien gegen Krebs. Volumen: bis zu zehn Milliarden Euro. An der Börse feierten Anleger die Nachricht mit einem Kurssprung von fast 20 Prozent – dem größten Tagesgewinn seit dem Impfstoffhype im Pandemiejahr 2021.

Biontech wird Weltkonzern – aber was bleibt in Deutschland?

Der Vertrag mit dem US-Konzern ist mehr als ein Geschäft: Er markiert den Wandel Biontechs vom Impfstoffhersteller zum globalen Player im milliardenschweren Onkologie-Markt.

Forschung, Entwicklung, Produktion – all das soll international aufgestellt werden. Der Standort Deutschland? Spielt weiter eine Rolle, aber nicht mehr die Hauptrolle.

Gleichzeitig verdichten sich die Hinweise auf einen großangelegten Stellenabbau. In Marburg, Idar-Oberstein und sogar am Hauptsitz in Mainz sollen Jobs wegfallen. Wie viele genau – unklar.

Der Betriebsrat wurde bislang nur unvollständig informiert. Die Gespräche laufen schleppend. Aus Gewerkschaftskreisen heißt es, man habe die Pläne zuerst aus den Medien erfahren.

Gewerkschaft spricht von „Gewerkschaftsfeindlichkeit“

Roland Strasser, Landesbezirksleiter der Industriegewerkschaft IGBCE in Rheinland-Pfalz, findet deutliche Worte: „Biontech wäre ohne die staatliche Förderung in Deutschland nicht das, was es heute ist.

Produktion in Marburg: Während Biontech dort zu Pandemiezeiten Millionen Dosen Comirnaty abfüllte, sollen nun hunderte Stellen gestrichen werden – trotz voller Kassen und Milliardenreserven.

Jetzt Arbeitsplätze hier zu streichen und gleichzeitig in Großbritannien oder den USA aufzubauen, ist ein Schlag ins Gesicht.“ Besonders stört die Gewerkschaft, dass Biontech keine Tarifverträge abschließt – außer in Marburg, wo dies aufgrund einer früheren Novartis-Übernahme vorgeschrieben ist.

Noch ungewöhnlicher: Im Aufsichtsrat sitzt kein einziger Arbeitnehmervertreter. Biontech beruft sich auf die Gesetzeslage.

Doch für ein Unternehmen dieser Größe ist das in Deutschland ein Ausnahmefall. Für Gewerkschafter Strasser ist klar: „Hier wird Mitbestimmung systematisch auf ein Minimum reduziert.“

Biontech weist Kritik zurück

Das Unternehmen selbst äußert sich zurückhaltend – aber bestimmt. Man habe großen Respekt vor der deutschen Belegschaft, heißt es aus der Unternehmenskommunikation.

Deutschland bleibe der wichtigste Standort. Zudem würden im Zuge des Umbaus auch neue Stellen entstehen – zwischen 800 und 1.200 weltweit, viele davon in Deutschland.

Zur Kritik an der Mitbestimmung verweist das Unternehmen auf „starke Arbeitnehmervertretungen auf Standort- und Konzernebene“. Tarifverträge seien kein Standard bei Biontech, aber man sei offen für den Dialog.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache

Fakt ist: Die Kassen des Unternehmens sind gut gefüllt. Rund 17,4 Milliarden Euro an liquiden Mitteln stehen zur Verfügung – Geld aus dem Covid-Impfstoffgeschäft, das ohne staatliche Unterstützung kaum so erfolgreich gewesen wäre.

Dieses Kapital fließt nun in internationale Expansion, Übernahmen (unter anderem in China und Großbritannien) und neue Forschungseinrichtungen – allerdings nicht in den Erhalt bestehender Strukturen in Deutschland.

Was bedeutet das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Während Analysten vom „perfekten Zeitpunkt für den Strategiewechsel“ sprechen, herrscht in Teilen der Belegschaft Frust. Viele, die in der Pandemie den Laden am Laufen hielten, fühlen sich übergangen. Die Sorge: Wer nicht in die neue globale Struktur passt, wird aussortiert.

Besonders betroffen: Standorte, die auf Massenproduktion ausgerichtet waren – wie Marburg. Impfstoffe werden kaum noch gebraucht. Der neue Fokus liegt auf personalisierten Krebstherapien, kleinen Chargen, Hightech-Verfahren – dafür braucht es andere Strukturen.

Ein neuer Kurs – mit Nebenwirkungen

Dass sich Biontech verändern muss, ist unstrittig. Das Impfstoffgeschäft ist eingebrochen, rote Zahlen sind längst Realität. Der Krebsmarkt ist die logische nächste Etappe – wirtschaftlich wie strategisch.

Doch die Art, wie dieser Wandel umgesetzt wird, wirft Fragen auf: Geht es wirklich nicht anders? Muss der Umbau zwangsläufig zulasten derjenigen gehen, die das Unternehmen einst groß gemacht haben?

Das große Ganze – oder der große Widerspruch?

Biontech ist ein Musterbeispiel dafür, wie schnell ein Unternehmen wachsen kann – und wie schnell dabei alte Regeln unter die Räder geraten. Die Balance zwischen globalem Wachstum und lokaler Verantwortung ist eine der größten Herausforderungen.

Für Investoren zählt der neue Kurs. Für die deutsche Öffentlichkeit dagegen zählt, ob das Unternehmen auch ein Stück weit bleibt, was es war: ein Hoffnungsträger aus Mainz – und nicht bloß ein Konzern unter vielen.

Das könnte Sie auch interessieren:

45 Millionen für den Mantel des Schweigens – was Vodafone lieber verschweigen würde
Deutschlands höchste Datenschutzstrafe trifft nicht irgendein Start-up – sondern einen Konzernriesen. Die Behörde spricht von „böswilligen Mitarbeitenden“. Doch während Vodafone zahlt, bleibt die strafrechtliche Aufarbeitung aus. Warum der eigentliche Skandal jetzt erst beginnt.