Die Schlagzahl ist hoch, die Botschaft klar: Das Münchner Ifo-Institut stellt dem deutschen Sozialstaat ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Zu komplex, zu teuer, zu wenig Anreiz zur Arbeit – so das Fazit der Forscher.
In einer 60-seitigen Studie, erstellt im Auftrag der IHK München und Oberbayern, schlagen die Ökonomen einen radikalen Umbau vor. Die Zahl, die hängen bleibt: 4,5 Milliarden Euro ließen sich jährlich einsparen, wenn Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag zu einer einheitlichen Transferleistung verschmolzen würden.
Ein System ohne Aufstiegsanreize
Ifo-Forscher Maximilian Blömer bringt es auf den Punkt: „Gerade Alleinstehende hätten so deutlich mehr Anreize, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufzunehmen.“ Denn die Studie zeigt, wie sehr das bestehende Bürgergeld-System Erwerbstätigkeit bremst.
Wer mehr arbeitet, verliert häufig staatliche Unterstützung – mit der Folge, dass von einem zusätzlichen Bruttolohn von 1000 Euro kaum etwas im Geldbeutel bleibt. Für viele lohnt sich das Mehr an Arbeit schlicht nicht.

Abbau von Bürokratie, Aufbau von Jobs
Die Vorschläge des Ifo zielen auf zwei Flanken: Bürokratieabbau und Arbeitsanreize. Mit einer einzigen Leistung statt mehrerer paralleler Programme könnte der Staat Milliarden an Verwaltungskosten sparen.
Noch schwerer wiegt aber der arbeitsmarktpolitische Effekt: Laut Modellrechnungen würde das Arbeitsvolumen um knapp 150.000 Vollzeitstellen steigen. Damit wäre die Reform nicht nur ein Sparprogramm, sondern auch ein Beschäftigungsprogramm.
Politische Brisanz
Das Papier kommt zur rechten Zeit. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat zuletzt betont, dass die Bundesregierung beim Thema Bürgergeld handeln müsse. Doch die politischen Gräben sind tief.
Während Arbeitgeberverbände auf strengere Anreize zum Arbeiten drängen, warnt die SPD vor einer Kürzung der sozialen Sicherung. Dass die IHK München den Reformvorschlag mitträgt, ist kaum überraschend: Für die Wirtschaft gilt jeder zusätzliche Arbeitnehmer als Gewinn.
Streitpunkt Zuverdienst
Besonders umstritten: der Vorschlag, den derzeitigen Freibetrag von 100 Euro für Zuverdienste abzuschaffen. Stattdessen sollen Sozialtransfers im unteren Einkommensbereich schneller abgeschmolzen werden, damit sich ein Sprung in reguläre Jobs lohnt.

Ifo-Berechnungen zufolge liegt die entscheidende Schwelle bei 380 Euro Monatsverdienst – ab hier beginnt sich Mehrarbeit wirklich auszuzahlen. Für Alleinerziehende allerdings bräuchte es Sonderregeln, um Verschlechterungen gegenüber heute zu vermeiden.
Mehr als Technik – ein Paradigmenwechsel
Das Konzept des Ifo ist mehr als eine technische Korrektur. Es zielt auf eine Neujustierung des deutschen Sozialstaats, der in den vergangenen Jahren immer teurer und zugleich weniger zielgenau geworden ist. Die zentrale Frage lautet: Soll das System Menschen vor allem absichern – oder soll es sie stärker in Richtung Erwerbsarbeit lenken? Die Antwort des Ifo ist eindeutig.
Am Ende bleibt ein Befund, der den Druck auf die Regierung erhöht: Deutschland kann es sich weder fiskalisch noch gesellschaftlich leisten, an einem System festzuhalten, das Milliarden kostet und zugleich Arbeitskräfte bindet. Reformen sind möglich, sie liegen auf dem Tisch. Die Frage ist nur: Wer hat den Mut, sie umzusetzen?
