Es wirkt wie ein Tabubruch mit Ansage. Während der Gesetzgeber Berufsfremden bislang explizit verbietet, sich an Steuerberatungskanzleien in Deutschland zu beteiligen, steigen internationale Finanzinvestoren längst massiv ein – über Umwege, stille Konstrukte und mit einer Geschwindigkeit, die selbst erfahrene Branchenbeobachter überrascht.
Die großen Namen der Private-Equity-Welt – EQT, KKR, Blackstone – machen Jagd auf Steuerberater. Und sie bekommen, was sie wollen.
Der Markt wird umgebaut – gegen geltendes Berufsrecht
Der Einstieg erfolgt häufig über Luxemburg, wo das sogenannte Fremdbesitzverbot nicht gilt. Von dort aus steuern Investoren Konstruktionen, die – formal legal – deutsche Kanzleien übernehmen oder sich an ihnen beteiligen. Die deutschen Aufsichtsbehörden?
Meist machtlos oder ahnungslos. Das Risiko für die Investoren? Überschaubar. Die Beute? Ein hoch fragmentierter Markt mit rund 53.000 Kanzleien, zwei Drittel davon Einzelpraxen. Genau die sind jetzt im Fadenkreuz – alternd, überfordert mit Digitalisierung, ohne Nachfolger.
KI und Nachwuchsmangel als Brandbeschleuniger
Was den Run auf die Kanzleien zusätzlich befeuert, ist der doppelte Strukturbruch: Die künstliche Intelligenz steht kurz davor, die Buchhaltung zu automatisieren – ein Kerngeschäft der Branche.

Gleichzeitig sinkt seit Jahren die Zahl der Steuerfachangestellten und -anwärter, das Durchschnittsalter der Kanzleiinhaber liegt bei 54. Viele suchen händeringend nach einer Nachfolgelösung – und stoßen auf Kaufangebote mit sieben- bis achtfacher Ebitda-Bewertung.
EQT, KKR, Blackstone – die stille Invasion
Der Einstieg des schwedischen Investors EQT bei WTS, einer der größten unabhängigen Kanzleien Deutschlands, steht kurz vor dem Abschluss. KKR hat sich bereits über Managementvehikel bei ETL eingekauft, einem Steuerberaternetzwerk mit über 900 Standorten.
Und Blackstone sucht laut Brancheninsidern gerade in Luxemburg nach einer geeigneten Holdingstruktur, um von dort aus den Sprung nach Deutschland zu wagen.
Allen gemein: Sie umgehen das Fremdbesitzverbot mit Konstruktionen, bei denen Berufsträger formal weiter an der Spitze stehen, die Kapitalmacht aber längst woanders liegt.
Afileon – der Musterschüler der neuen Ära
Ein besonders ambitioniertes Beispiel ist das Projekt Afileon: Mit Kapital der Schweizer Partners Group wurden innerhalb kürzester Zeit mehr als 20 Kanzleien eingesammelt.
Das Ziel? Eine halbe Milliarde Euro Umsatz bis 2028, mittelfristig unter die Top fünf der Branche zu stoßen. Ex-Minister Heiko Maas sitzt im Aufsichtsgremium – was dem Projekt Seriosität verleiht, aber auch politische Brisanz.
Der Preis der Rendite: Unabhängigkeit in Gefahr
Doch die neue Dynamik hat Schattenseiten. Der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel warnt: Steuerberater sind keine reinen Dienstleister – sie nehmen hoheitliche Aufgaben wahr.
Wenn Investoren plötzlich die Kapitalhoheit übernehmen, könnte das langfristig zu einer Zwei-Klassen-Mandantenstruktur führen. Wer große Honorare zahlt, bekommt Service – kleinere Mandate drohen verdrängt zu werden.
„Es muss reguliert sein“, mahnt Spengel. „Das Ideal wäre, dass der Anteilseigner keinen Einfluss auf Berufsträger hat.“
Die nächste Front: Anwaltskanzleien
Die Begehrlichkeiten wachsen weiter. Erste Investoren berechnen bereits das Potenzial, auch den Markt der Anwaltskanzleien zu konsolidieren – mithilfe künstlicher Intelligenz, die juristische Dokumente und Verträge automatisiert analysieren kann. Was bei Steuerkanzleien beginnt, könnte bald auch das Justizsystem betreffen.
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