Friedrich Merz bleibt kaum Zeit zum Eingewöhnen. Keine 200 Tage im Amt, kein ruhiger Moment. Kaum hatte der CDU-Kanzler seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus absolviert, häuften sich die geopolitischen Brandherde.
Jetzt droht seine bisher größte Bewährungsprobe: Zehn Tage, die zeigen werden, ob Merz mehr ist als der neue Mann in Berlin – ob er international politisches Gewicht entfalten kann.
G7-Gipfel: Gleich die Feuertaufe
Den Auftakt bildet der G7-Gipfel im kanadischen Kananaskis. Schon unter normalen Bedingungen wäre die Agenda anspruchsvoll gewesen: Welthandel, neue Russland-Sanktionen, Energiesicherheit, KI-Regulierung und kritische Rohstoffe.
Doch spätestens seit Israels massiven Luftschlägen gegen iranische Atomanlagen explodiert die Brisanz des Treffens regelrecht.
Die geopolitische Nervosität ist spürbar, nicht nur bei den Anwesenden aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Japan, Kanada und Italien – auch Staatsgäste aus der Ukraine, Südkorea, Indien, Brasilien und Südafrika verschieben das Format zeitweise in Richtung eines G20-Gipfels.
Ein Nahostkonflikt zur Unzeit
Die Eskalation zwischen Israel und dem Iran trifft den Gipfel mitten ins Herz. Nur Stunden vor den Angriffen hatte Israels Premier Netanjahu Merz telefonisch über die bevorstehende Operation informiert.
Was seither folgt, sind gegenseitige Vergeltungsschläge und neue Sorgen um die Stabilität der gesamten Region. Für Merz ist das mehr als ein außenpolitisches Nebengeräusch: Deutschland sitzt nach wie vor am Tisch der verbliebenen Unterzeichner des Wiener Atomabkommens, das 2018 von Donald Trump aufgekündigt wurde.

Eine diplomatische Wiedervorlage dieser Gespräche scheint angesichts der jüngsten Entwicklungen kaum noch realistisch.
Der Faktor Trump bleibt unkalkulierbar
Wie brüchig das globale Gefüge derzeit ist, zeigt der zweite Besuch von Merz bei US-Präsident Trump. Zwar verlief das erste Treffen überraschend sachlich, doch selbst das Kanzleramt weiß: Stabilität ist bei Trump kein dauerhaftes Konzept.
Zollfragen, Ukraine-Hilfen, NATO-Beiträge – alles kann binnen Minuten neu verhandelt werden. Dass Trump Kanada zuletzt mehrfach als „potenziellen 51. Bundesstaat“ verspottete, trägt kaum zur Entspannung der Atmosphäre bei.
Das Kanzleramt ahnt: Schlimmer geht immer
Dabei sind die Erwartungen an Kananaskis ohnehin gedämpft. Ein gemeinsames Abschlussdokument? Wohl kaum. Zu groß die Differenzen, zu unkalkulierbar die Akteure. Selbst aus dem Kanzleramt ist intern von „reiner Schadensbegrenzung“ die Rede.
Stattdessen setzt man auf bilaterale Gesprächskanäle, um wenigstens die NATO-Agenda in Den Haag vorzubereiten. Dort stehen Fragen der Abschreckung und militärischen Aufrüstung gegen Russland im Zentrum. Für die Ukraine könnte das NATO-Treffen zur Schicksalsfrage werden.
Dauerstress seit Amtsantritt
Merz selbst hat in den wenigen Monaten im Amt kaum einen Tag ohne Krise erlebt. Kiew, Vilnius, Washington, nun Kanada und bald Den Haag – die Schlagzahl ist atemberaubend.
Doch genau dieser Dauerstress könnte sich als politische Reifungsschule erweisen. Noch ist unklar, ob Merz das internationale Gewicht seiner Vorgängerin Merkel erreichen kann. Klar ist aber: Er wird an diesen zehn Tagen gemessen werden. Und die Uhr läuft.
Das könnte Sie auch interessieren:
