Stundenlange Sitzung ohne greifbares Ergebnis
Es war kurz nach zwei Uhr nachts, als im Kanzleramt die letzten Lichter flackerten und sich die Tür zum Kabinettssaal öffnete. Acht Stunden hatte die Regierungsspitze getagt – ohne Einigung. Der schwarz-rote Koalitionsausschuss von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und SPD-Chefin Bärbel Bas endete, wie so viele Krisentreffen dieser Regierung: mit offenen Fragen und vagen Andeutungen.
Beschlüsse? Fehlanzeige. Aus Koalitionskreisen hieß es in den frühen Morgenstunden, man habe „intensiv, aber konstruktiv“ diskutiert. Übersetzt bedeutet das: Die Fronten bleiben verhärtet.

Streit um den Verbrenner – Symbolpolitik auf offener Bühne
Zentrales Thema der Nacht war der alte, aber weiterhin brisante Konflikt um das EU-weite Verbrenner-Aus ab 2035. Die Union drängt auf eine Aufweichung der Regel, die SPD will am Ziel festhalten, zeigt sich aber inzwischen offener für sogenannte Flexibilisierungen.
Im Hintergrund geht es längst um mehr als Motorentechnik. Für Merz steht die Glaubwürdigkeit seiner industriepolitischen Agenda auf dem Spiel, für die SPD das Bekenntnis zur Klimapolitik. Ein Kompromiss soll nun beim Autogipfel am Donnerstag vorbereitet werden – dort trifft die Regierung auf Vertreter von VW, BMW, Mercedes und den Gewerkschaften.
Dass beide Partner sich grundsätzlich einig sind, dass die Zukunft der Mobilität elektrisch ist, hilft dabei wenig. Die Union will e-Fuels und Hybridmodelle länger zulassen, die SPD warnt vor einem „Rückschritt in die Vergangenheit“.
Bürgergeld: Der härteste Brocken
Auch beim Bürgergeld blieb die Einigung aus. Dabei hatten Merz und Bas zuletzt Fortschritte signalisiert. Beide wollen härtere Sanktionen bei Pflichtverletzungen und schärfere Regeln gegen Missbrauch. Doch die Details sind heikel: Wie viel Druck darf der Staat auf Arbeitssuchende ausüben, ohne das Sozialprinzip zu verletzen?
Ein Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas soll bereits kommende Woche vorliegen. Er sieht vor, dass Leistungskürzungen bei wiederholten Verstößen schneller greifen und Mitwirkungspflichten klarer definiert werden. Besonders umstritten: Wie mit nicht arbeitswilligen Bürgergeld-Beziehern umgegangen werden soll. Die Union fordert ein „Ende der falschen Anreize“, die SPD warnt vor einer „Rückkehr zum Hartz-IV-Ton“.
Dass beide Seiten von Fortschritten sprechen, klingt eher nach politischer Schadensbegrenzung als nach Einigung.
Finanzierungsloch bei Straße und Schiene
Für zusätzlichen Zündstoff sorgte der Streit um die Infrastrukturfinanzierung. Nach Angaben aus dem Verkehrsministerium fehlen Milliarden, um geplante Projekte bei Straße und Schiene bis 2029 zu finanzieren. In der Koalition wächst die Sorge, dass zentrale Ausbauprojekte auf Eis gelegt werden könnten – ein Debakel für eine Regierung, die sich als Modernisierungskoalition versteht.
Merz drängt auf Prioritätenlisten, die SPD will zusätzliche Mittel mobilisieren – notfalls über Nachtragshaushalte. Finanzminister Christian Haase (CDU) lehnt das ab:
„Es kann nicht sein, dass jedes Ressort seine Löcher über neue Schulden stopft.“
Damit droht die Regierung in eine bekannte Falle zu tappen: ehrgeizige Pläne, aber kein klares Finanzierungskonzept.
Gesundheitsbeiträge – die Zeit läuft
Auch das Thema Krankenkassenfinanzierung stand auf der Agenda. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will einen drohenden Beitragsanstieg im kommenden Jahr verhindern, doch bislang fehlt ein tragfähiger Plan. Warken sprach von „intensiven Gesprächen“ mit den Kassen – ein Euphemismus dafür, dass der Spielraum gering ist.
Die Sozialausgaben steigen, die Einnahmen stagnieren. Schon im Frühjahr hatte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen gewarnt, dass ohne zusätzliche Bundesmittel die Beiträge 2026 deutlich steigen könnten.
Ein Koalitionsausschuss ohne Durchbruch
Offiziell nennt die Regierung das Treffen einen „Austausch auf Augenhöhe“. In Wahrheit war es ein nächtlicher Kraftakt, der die politischen Bruchlinien zwischen CDU und SPD offenlegte. Beide Seiten wollen Ergebnisse, beide fürchten, als Blockierer dazustehen.
Dass der Ausschuss ohne konkrete Beschlüsse endete, ist ein schlechtes Omen – gerade mit Blick auf die anstehenden Gipfel und Gesetzesvorhaben. Die Themen liegen auf dem Tisch: Verbrenner, Bürgergeld, Infrastruktur, Gesundheit. Doch die gemeinsame Linie fehlt.
Der entscheidende Moment rückt näher
Wenn Merz und Bas am Donnerstag beim Autogipfel erneut aufeinandertreffen, geht es nicht nur um Industriepolitik, sondern um die Glaubwürdigkeit dieser Koalition. Acht Stunden Beratung im Kanzleramt haben gezeigt: Der Wille zum Regieren ist da – aber der Mut zur Entscheidung fehlt.
Deutschland wartet auf Ergebnisse. Und die Regierung auf den Moment, an dem aus Reden endlich Handeln wird.
