06. Juli, 2025

Politik

Merz brilliert in Brüssel – und verliert Berlin

Außenpolitisch stark, innenpolitisch angeschlagen: In der CDU wächst die Kritik am Kanzler. Die Stromsteuer wird zum Symbol einer Partei, die sich selbst nicht mehr versteht.

Merz brilliert in Brüssel – und verliert Berlin
Der Kanzler genießt internationale Anerkennung für sein sicheres Auftreten auf der Weltbühne – während ihm zu Hause innenpolitisch der Rückhalt schwindet.

Der Kanzler auf Reisen

Neun Auslandsreisen in zwei Monaten. Friedrich Merz zeigt sich als internationaler Strippenzieher, verhandelt mit Premierministern, gibt den Staatsmann – und punktet.

In Brüssel, in Den Haag, beim NATO-Gipfel an der Seite von Donald Trump. Seine englische Rhetorik gilt als „erfrischend“, sein Auftreten als souverän. Merz füllt die Bühne.

Doch während er draußen glänzt, bröckelt drinnen die Fassade.

Innenpolitisches Vakuum

„Ein bisschen viel Außen-Kanzler“, heißt es inzwischen selbst aus dem CDU-Präsidium. Der Satz ist harmlos formuliert – aber hochbrisant. Denn was da hinter den Kulissen brodelt, hat Sprengkraft: Die Partei fühlt sich im eigenen Regierungskonstrukt abgehängt. Keine Linie, kein Profil, keine Durchsetzungskraft – so lautet das inoffizielle Urteil vieler CDU-Funktionäre.

„Wir sind blamiert“, sagt ein Mitglied des Bundesvorstands. Gemeint ist der jüngste Koalitionsausschuss. Gemeint ist die Stromsteuer. Gemeint ist der Kanzler.

Stromsteuer wird zur Zerreißprobe

Es war ein zentrales Versprechen der CDU im Wahlkampf: Entlastung bei der Stromsteuer. Jetzt ist genau dieses Versprechen still gestrichen worden. Ausgerechnet vom eigenen Kanzler – ohne Rücksprache mit der Parteiführung.

Lars Klingbeil, SPD und Finanzminister, hatte im kleinen Kreis erklärt, dass die 5,4 Milliarden Euro dafür nicht zur Verfügung stünden. Merz stimmte zu – und hielt das Einverständnis monatelang unter Verschluss.

Im Koalitionsausschuss bekräftigte er dann diese Linie – gegen den Widerstand der eigenen Leute.


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Widerstand aus der zweiten Reihe

Die Empörung ist groß – und kommt nicht nur aus der Basis. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, Bayerns CSU-Chef Markus Söder, Generalsekretär Carsten Linnemann und CDA-Chef Dennis Radtke fordern die Einhaltung des Wahlversprechens.

„Wir sind kein Zirkuszelt“, ätzt Radtke in Anspielung auf einen früheren Merz-Spruch – und trifft einen Nerv.

Denn was sich jetzt formiert, ist keine harmlose Unzufriedenheit. Es ist eine echte Front gegen den eigenen Kanzler.

Ein Kommunikationsdesaster jagt das nächste

Die Art, wie Entscheidungen zustande kommen – und vor allem wie sie kommuniziert werden –, stößt zunehmend auf Unverständnis. Beispiel: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

Nachdem das Bundeskabinett die Stromsteuer-Entlastung gekippt hatte, präsentierte Reiche die Entscheidung auf dem „Tag der Industrie“. Ohne Abstimmung mit der Partei, ohne politische Einordnung – stattdessen erklärte sie nüchtern: „Koalitionsvertrag trifft auf finanzielle Wirklichkeit.“

Für viele in der CDU war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Keine Empathie, keine Erklärung – nichts“, heißt es aus dem Parteivorstand. Schon beim Bruch der Schuldenbremse fehlte die Erklärung. Jetzt wieder. Und es wird nicht mehr hingenommen.

Während im Kanzleramt über Milliarden entschieden wird, bleibt einer der wichtigsten CDU-Strategen dem Treffen fern – wegen eines Termins im Wahlkreis.

Kanzler mit Merkel-Allüren?

Wolfgang Bosbach, Urgestein der CDU, bringt es auf den Punkt: Merz erinnere in seinem Regierungsstil überraschend stark an Angela Merkel. Außenpolitisch stark, innenpolitisch kompromissbereit. Doch wo Merkel eine Hausmacht hatte, steht Merz immer öfter allein da.

Besonders bitter: Im Wahlkampf hatte er sich als Gegenmodell zu Merkel inszeniert – als Macher mit klarer Kante. Jetzt wirkt er wie ein Moderator unter vielen, nicht wie ein Kanzler mit Führungsanspruch.

Innenpolitik „first“ – und dann nichts

Am 23. Juni, bei einer Sitzung des CDU-Präsidiums, kündigte Merz an, sich fortan auf die Innenpolitik konzentrieren zu wollen. Ein Satz, der eigentlich für Ruhe sorgen sollte. Doch schon in der nächsten Minute übergab er das Wort an Jens Spahn. Und auch Kanzleramtschef Thorsten Frei glänzte beim folgenden Koalitionsausschuss durch Abwesenheit – wegen eines Termins in seinem Wahlkreis.

Ein Kanzler, der sagt: Jetzt wird geliefert. Und dann nicht liefert. Das bleibt hängen.

Wundgeriebene Partei

„Die Partei ist wundgerieben“, sagt ein altgedienter CDU-Abgeordneter. Erst die Tolerierung von AfD-Stimmen bei Migrationsanträgen. Dann der Bruch der Schuldenbremse. Jetzt das Aus bei der Stromsteuer. Alles in wenigen Monaten. „Das geht nicht spurlos an einer Partei vorbei.“

Es ist das Gefühl, dass die CDU den Takt verliert. Dass sie nicht mehr führt, sondern reagiert. Dass Entscheidungen nicht mehr erklärt, sondern durchgewunken werden. Und dass die Stimmung kippt – diesmal nicht nur bei den Wählern, sondern auch in der Partei selbst.

Ein Kanzler vor der Weggabelung

Noch ist es kein Aufstand. Aber es ist der lauteste Warnschuss seit Beginn der Kanzlerschaft. Wenn Friedrich Merz nicht bald einen klaren innenpolitischen Kurs findet – und seine Partei dabei mitnimmt – wird ihm das Amt zwischen den Händen zerrinnen. Nicht wegen der SPD. Nicht wegen der CSU. Sondern wegen der CDU.

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