Wenn David Speer heute an seine ersten Börsenschritte denkt, muss er schmunzeln.
„Ich dachte, ich sei clever. Habe alles in einen einzigen ETF auf die Emerging Markets gesteckt. Dass der ausgerechnet in den nächsten Jahren schlechter lief als fast alles andere – das habe ich erst spät verstanden.“
Speer, 30 Jahre alt, lebt mit seiner Freundin in einer 65 Quadratmeter großen Wohnung in München. Die Miete: 400 Euro warm, Genossenschaftswohnung. Sein Arbeitgeber: ein Konzern aus dem industriellen Maschinenbau. Sein Kontostand: siebenstellig.
Was zunächst nach einer dieser Online-Finanzgeschichten klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Fallstudie über finanziellen Aufstieg mit Geduld, Disziplin – und einer Reihe kluger Entscheidungen zur rechten Zeit.
„Es fing mit einem Nebenjob an“
Speer kommt aus einfachen Verhältnissen. In seiner Kindheit wurde über Geld kaum gesprochen. Der Wendepunkt kam, als er sich mit 18 einen Nebenjob im Lager eines Versandhändlers suchte – und zum ersten Mal eine vierstellige Summe auf dem Konto sah. „Ich wusste nicht, was ich damit tun sollte. Also habe ich gespart.“
Er blieb dabei: Während des Studiums arbeitete er durchgängig, zunächst als Werkstudent in einem kleineren Ingenieurbüro, später bei einem großen Automobilzulieferer.
Einen Großteil seines Einkommens legte er zur Seite. Parallel las er alles, was er über Geldanlage finden konnte. „Souverän investieren“ von Gerd Kommer nennt er heute als prägendes Buch. Auch Podcasts und Blogs halfen, um Grundbegriffe wie Cost-Average-Effekt, TER oder thesaurierende Fonds zu verstehen.

Die ersten 100.000 – und was danach anders wurde
Sechs Jahre dauerte es, bis das erste größere Etappenziel erreicht war: 100.000 Euro Nettovermögen. „Diesen Moment vergisst man nicht“, sagt Speer. Die Zahl ist nicht nur symbolisch. Sie wirkt wie ein psychologischer Hebel. „Danach wurde alles leichter – auch, weil die Kapitalerträge langsam sichtbar wurden.“
Tatsächlich ist es eine Erkenntnis, die Ökonomen bestätigen: Je höher das Startkapital, desto stärker greift der Zinseszinseffekt. Wer früh viel spart, hat langfristig einen gewaltigen Vorteil. Speer erhöhte parallel seine Sparquote – nicht durch Verzicht, sondern durch steigendes Einkommen.
Der stille Aufstieg – mit System
Spätestens nach dem Berufseinstieg arbeitete Speer mit System. Er wechselte den Arbeitgeber alle zwei bis drei Jahre – jedes Mal verbunden mit einer Gehaltserhöhung.
Auslandseinsätze nutzte er, um steuerfrei Geld zur Seite zu legen. Bei Versicherungen und Fixkosten optimierte er weiter. So lebt er heute deutlich unterhalb seiner finanziellen Möglichkeiten.
Er fährt kein Auto, nutzt das Fahrrad. Seine Reisen zahlt er über Bonusprogramme, Cashback-Apps oder Prämienaktionen.
„Klingt spießig“, sagt er. „Aber wenn man alles zusammenzählt, bleibt am Ende viel übrig.“
Einmal 50.000 Euro verloren
Nicht alles verlief nach Plan. In der Euphorie der Nullzinsjahre investierte Speer auch in Einzelaktien. Iota, Katanga Mining, Wirecard – alles klang vielversprechend, alles ging schief.
„Das war mein Lehrgeld“, sagt er. Insgesamt rund 50.000 Euro Verlust. Heute investiert er ausschließlich in passive Fonds, global gestreut. 80 Prozent seines Vermögens stecken in ETFs, 20 Prozent in liquiden Rücklagen.
Finanzielle Freiheit? Ja – aber nicht für TikTok
Heute verdient Speer rund 200.000 Euro brutto. Zusätzlich betreibt er einen kleinen YouTube-Kanal zum Thema Finanzbildung. Die Erträge daraus – etwa 30.000 Euro im Jahr – fließen vollständig ins Depot.
„Ich könnte theoretisch aufhören zu arbeiten“, sagt er. Aber genau das wolle er nicht. „Es geht mir nicht ums Aussteigen. Ich will entscheiden können. Wann, wie, mit wem ich arbeite. Das ist meine Definition von finanzieller Freiheit.“
Wie realistisch ist das für andere?
Speer hat Glück gehabt – und es genutzt. Ein frühes finanzielles Bewusstsein, ein gut bezahlter Beruf, geringe Lebenshaltungskosten, dazu keine gesundheitlichen oder familiären Rückschläge. Kann jeder Millionär werden wie er?
„Natürlich nicht im Detail“, sagt Christian Hagist, Ökonom an der WHU Vallendar. „Aber strukturell schon. Wer in Deutschland ein stabiles Einkommen und einen langen Zeithorizont hat, kann durchaus ein mittleres sechsstelliges Vermögen aufbauen.“
Der Weg dorthin sei allerdings nicht glamourös. „Es ist eine Aneinanderreihung guter Entscheidungen – über Jahre hinweg.“
Warum diese Geschichte mehr ist als nur ein Einzelfall
David Speer ist kein Influencer, kein Start-up-Gründer, kein Hochstapler mit Ferrari in Dubai. Er ist, was man in der Statistik leicht übersieht: ein junger Mensch mit wirtschaftlichem Weitblick und einem Plan.
Seine Geschichte steht exemplarisch für eine Generation, die nicht mehr konsumieren will, was sie hat – sondern gestalten, was sie braucht.
In einer Zeit, in der Millionen junge Menschen über hohe Mieten, unsichere Renten und das Gefühl der Überforderung klagen, ist sie ein Gegenentwurf: ruhig, rational – und überraschend realistisch.
Das könnte Sie auch interessieren:
