Ein Votum, das Lufthansa erschüttert
90 Prozent der Lufthansa-Piloten und sogar 95 Prozent der Cargo-Piloten beteiligten sich an der Urabstimmung der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC). Das Ergebnis fiel eindeutig aus: 88 Prozent bei der Kernmarke und 96 Prozent bei Lufthansa Cargo stimmten für einen Arbeitskampf. Damit ist der Weg für Streiks frei – rechtzeitig zum Beginn der Ferienzeit, einem der sensibelsten Zeitfenster für die Airline.
Konkrete Streiktermine wurden zwar noch nicht genannt, doch die Tarifkommission der VC hat nun freie Hand. Erfahrungsgemäß bedeutet ein solcher Beschluss: Innerhalb weniger Tage kann der Flugbetrieb massiv gestört werden. Schon ein eintägiger Streik der Piloten legte 2022 weite Teile des Flugplans lahm.
Renten als Zankapfel
Im Kern des Konflikts steht nicht das Gehalt, sondern die betriebliche Altersversorgung. Die VC fordert deutlich höhere Arbeitgeberbeiträge in das Rentensystem – ursprünglich eine Verdreifachung, mittlerweile in den Verhandlungen reduziert, aber weiterhin weit über dem, was Lufthansa anbieten will.
Für die Gewerkschaft ist die Altersvorsorge kein Randthema, sondern eine Frage der Lebensplanung. „Die Betriebsrente ist für unsere Mitglieder mindestens so wichtig wie die gesetzliche Rente“, betonte Tarifkommissionssprecher Arne Karstens.
Das Problem: Die von Lufthansa und VC gemeinsam ausgewählten Kapitalanlagen entwickelten sich schlechter als erwartet. Das Zinsrisiko tragen die Piloten selbst. Trotz allem liegen die zu erwartenden Betriebsrenten nach Branchenangaben auch künftig bei über 8.000 Euro pro Monat – zusätzlich zur gesetzlichen Rente.

Management unter Druck
Für die Konzernspitze um CEO Jens Ritter kommt der Konflikt zur Unzeit. Die Lufthansa-Kerngesellschaft kämpft ohnehin mit einem harten Sanierungsprogramm. „Wir haben schlicht keine Mittel, um die betriebliche Altersvorsorge weiter auszubauen“, erklärte Ritter zuletzt nüchtern.
Auch Personalvorstand Michael Niggemann sprach von engen Grenzen: Man werde weiter verhandeln, aber die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit setze klare Schranken. Das Problem: Die Piloten haben gezeigt, dass sie bereit sind, auf Eskalation zu setzen – und damit wächst der Druck auf den Vorstand erheblich.
Strategischer Umbau als zusätzlicher Sprengstoff
Parallel zum Tarifkonflikt verfolgt Lufthansa eine tiefgreifende Umbau-Strategie. Schon 2030 soll etwa die Hälfte der Kurz- und Mittelstreckenflüge nicht mehr vom Kernunternehmen, sondern von günstigeren Tochtergesellschaften wie City Airlines oder Discover durchgeführt werden.
Für die Gewerkschaft ist das ein rotes Tuch. Sie befürchtet, dass gut bezahlte Pilotenstellen langfristig systematisch ausgelagert werden. Streiks gegen diese Strategie sind rechtlich nicht erlaubt – doch sie verstärken die Grundspannung zwischen Belegschaft und Management.

Anleger aufgeschreckt
Die Börse reagierte unmittelbar auf die Streikdrohung. Die Aktie stürzte um mehr als sieben Prozent auf 7,21 Euro ab – der tiefste Stand seit Anfang August. Mehrere charttechnische Unterstützungen wurden durchbrochen, die Lufthansa-Aktie war Schlusslicht im MDAX.
Schon zuvor war der Kurs fragil. Analysten wie Harry Gowers (JPMorgan) und Jaime Rowbotham (Deutsche Bank) hatten von einer schwierigen Übergangsphase gesprochen, in der nur geringe Barmittelüberschüsse zu erwarten seien. RBC-Analyst Ruairi Cullinane sprach gar von einer „Show me story“ – Lufthansa müsse erst beweisen, dass die geplanten Effizienzsteigerungen tatsächlich greifen.
Was jetzt auf dem Spiel steht
Für Lufthansa geht es nun um mehr als einen Tarifkonflikt. Der Streit um Renten und Strategien berührt den Kern der Zukunftsfähigkeit: Kann der Konzern profitabel bleiben, wenn Belegschaft und Management fundamental unterschiedliche Vorstellungen haben?
Die Piloten haben ihr Druckmittel in der Hand. Mitten im Ferienverkehr kann ein Streik binnen Stunden hunderte Flüge lahmlegen und zehntausende Passagiere stranden lassen. Für die Lufthansa wäre das nicht nur ein operativer Albtraum – sondern auch ein weiterer Rückschlag für das Vertrauen von Investoren.
Ein gefährlicher Herbst
Die nächsten Wochen werden entscheiden, ob die Tarifparteien noch eine Lösung finden oder ob sich die Lufthansa auf einen Herbst voller Streiks einstellen muss. Sicher ist: Die Auseinandersetzung ist mehr als ein Ritual am Verhandlungstisch. Sie ist ein Lackmustest dafür, ob die Lufthansa den Spagat zwischen Kostendisziplin, Mitarbeiterzufriedenheit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit meistern kann.
Scheitert dieser Balanceakt, droht der deutschen Vorzeige-Airline ein Herbst, der nicht nur den Passagieren, sondern auch den Investoren in Erinnerung bleiben wird – als ein Synonym für Turbulenzen, die weit über den Wolken beginnen, aber am Ende den ganzen Konzern erschüttern.
