Die Ruhe vor dem Sturm
Bei der Lufthansa hängt der Himmel wieder voller Wolken. Nach wochenlangen Gesprächen hat die Vereinigung Cockpit (VC) die Verhandlungen mit dem Management abgebrochen – ohne Ergebnis.
Der Ton ist frostig, der nächste Streik nur noch eine Formalität. Damit droht dem Konzern ausgerechnet jetzt ein weiterer Schlag, mitten in einer Phase, in der er ohnehin mit sinkenden Gewinnen, wachsender Konkurrenz und angeschlagenem Vertrauen an der Börse kämpft.
Die Piloten-Gewerkschaft erklärte am Donnerstag, man wolle sich „nun wieder den ursprünglichen Tarifthemen zuwenden“. Übersetzt heißt das: Die Zeit des Redens ist vorbei, die Urabstimmung für einen Streik kann jederzeit aktiviert werden.
Der Konflikt um die Mittelstrecke
Im Kern geht es nicht um ein paar Prozent mehr Gehalt – sondern um die Zukunft ganzer Flotten und Karrieren. Die Lufthansa-Führung plant, die Mittelstreckenflotte zunehmend in die Tochtergesellschaften City Airlines und Discover auszulagern. Ein Schritt, der aus Sicht des Managements Kosten spart – aber aus Sicht der Piloten Arbeitsplätze und Aufstiegschancen vernichtet.
VC-Tarifchef Arne Karstens wirft dem Konzern vor, die Verhandlungen bewusst in die Länge zu ziehen und Angebote mit „inakzeptablen Bedingungen“ zu verknüpfen. Hinter verschlossenen Türen soll die Lufthansa versucht haben, Tarifvereinbarungen bei den Töchtern an weitreichende Zugeständnisse der Piloten zu koppeln.
Das Ziel der Gewerkschaft: ein einheitlicher Tarifrahmen, der auch für Piloten der neuen Töchter gilt – um Lohndumping und verschleierte Outsourcing-Strukturen zu verhindern.
Verhärtete Fronten – und ein gefährlicher Zeitpunkt
Offiziell geht es im Tarifkonflikt um die Betriebsrenten der rund 4.800 Pilotinnen und Piloten. Die VC fordert eine Verdreifachung des Arbeitgeberanteils, die Lufthansa lehnt ab. Nach sieben Verhandlungsrunden ist keine Einigung in Sicht.
Doch der Streit hat längst eine symbolische Ebene erreicht: Macht und Identität. Für die Piloten geht es um den Erhalt des Berufsstandes im Konzern, für das Management um Kontrolle und Kostendisziplin. Es ist ein Machtkampf im Cockpit – ausgetragen mitten in einer fragilen Marktphase, in der Lufthansa ohnehin ums Gleichgewicht kämpft.
Die Aktie reagierte prompt: Minus 1,1 Prozent am Freitag, ein weiteres Kapitel im sinkenden Trend. Analysten sprechen von einer „Unzeit für Unruhe“, da die Airline ohnehin mit Personalknappheit, steigenden Kerosinpreisen und sinkenden Margen im Europa-Geschäft kämpft.
Das Management spielt auf Zeit
Konzernchef Carsten Spohr setzt nach außen weiter auf Dialog. „Wir sind gesprächsbereit“, heißt es aus der Zentrale in Frankfurt. Doch intern gilt: Jeder Streiktag kostet die Lufthansa zweistellige Millionenbeträge – und jede Schlagzeile über neue Konflikte untergräbt das Bild eines Unternehmens, das Stabilität verspricht.
Der Konzern hat zwar in den vergangenen Monaten kräftig investiert – in neue Langstreckenjets, digitale Buchungssysteme und Nachhaltigkeitsprojekte. Doch das operative Umfeld bleibt schwierig. Überfüllte Flughäfen, Fachkräftemangel, Verzögerungen in der Wartung – und nun droht erneut Stillstand aus den eigenen Reihen.
Ein strukturelles Problem
Der aktuelle Konflikt steht exemplarisch für ein tieferliegendes Problem: Lufthansa hat es bislang nicht geschafft, ihre vielen Marken – von Eurowings bis Discover – zu einem funktionierenden Gesamtsystem zu verbinden. Statt Synergie herrscht Zerklüftung, statt Effizienz Misstrauen.
Während Billigflieger wie Ryanair und Wizz Air mit aggressiven Preisen Marktanteile abjagen, verliert der Konzern wertvolle Zeit in Tarifrunden, die an den Grundfesten seiner Identität rütteln.
Für Investoren ist das ein Warnsignal: Solange Lufthansa ihre internen Grabenkämpfe nicht in den Griff bekommt, bleibt jede Kostensenkung kosmetisch.
Die Lage vor dem Wochenende: unruhig
In den nächsten Tagen will die Tarifkommission der VC über das weitere Vorgehen entscheiden. Ein Streik gilt als wahrscheinlich. Sollte er kommen, würde er nicht nur die Kernmarke Lufthansa, sondern auch die Frachttochter Lufthansa Cargo treffen – in einer Phase hoher Nachfrage und knapper Kapazitäten.
Die Flugpläne wären binnen Stunden betroffen, der wirtschaftliche Schaden beträchtlich. Noch ist Zeit, eine Eskalation abzuwenden. Doch die Zeichen stehen auf Konfrontation – und die Märkte wissen das.
Ein Konzern zwischen Himmel und Boden
Die Lufthansa steht vor einer Weggabelung: Will sie ihre Transformation zum modernen, profitablen Luftfahrtkonzern schaffen, braucht sie mehr als neue Flugzeuge und Sparprogramme – sie braucht Vertrauen. Zwischen Piloten, Management und Investoren.
Das ist der wahre Absturz, den der Konzern fürchten muss: nicht den an der Börse, sondern den Verlust des inneren Zusammenhalts.

