Ein Stadtviertel, das nie beginnt
Zwischen hohen Birken und meterhohem Gras steht Kurt Krieger, 77 Jahre alt, Unternehmer, Möbelkönig, Visionär wider Willen.
Er wollte hier das „Pankower Tor“ bauen – ein Viertel für 4000 Menschen, mit allem, was Berlin dringend braucht. Doch seit 15 Jahren passiert nichts.
„Wir haben geliefert. Jetzt können wir nicht mehr viel bewegen“, sagt Krieger, und man spürt, dass dieser Satz mehr ist als Resignation – er ist ein Urteil über den Zustand dieses Landes.
Die Kreuzkröte zieht die Notbremse
Schuld an der Misere ist – zumindest offiziell – eine Amphibie. Die Kreuzkröte.
Vor 30 Jahren soll sie zufällig auf einem Kieslaster nach Berlin gekommen sein. Heute steht sie unter strengstem Schutz und darf die Stadt nicht mehr verlassen.
Krieger wollte die Tiere umsiedeln – mit eigenem Ersatzbiotop, Sandhügeln, Teichen, Reisighaufen. Kosten: bis zu 30 Millionen Euro. Doch Naturschützer lehnten ab.
Begründung: Auf dem Gelände könnten sich auch Zauneidechsen ansiedeln, deren Lebensraum sich mit dem der Kreuzkröte „nicht verträgt“.
Die Folge: Totale Blockade. Kreuzkröte verdrängt Kleingärtner? Erlaubt. Kreuzkröte verdrängt Eidechse? Undenkbar.

Behörden im Endlosmodus
Was in Berlin gerade passiert, ist Bürokratie im Reinform.
Ein Projekt, das die Wohnungsnot lindern könnte, erstickt in endlosen Runden und widersprüchlichen Gutachten.
Architekt Tobias Nöfer, der den Wettbewerb für das Stadtviertel gewonnen hat, schildert den Irrsinn so:
„Monatelang wurde über den Verlauf einer Straßenbahn diskutiert. 35 Leute im Raum, jeder mit Meinung, keiner mit Entscheidung.“
Sogar die Politik klingt inzwischen frustriert. Der grüne Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler spricht von einer „Krise der Demokratie“. Die Bürger hätten den Eindruck, es passiere nichts, weil niemand Verantwortung übernimmt.
Wenn Artenschutz zum Vorwand wird
Niemand stellt den Naturschutz infrage. Aber wenn er zur Blockadepolitik verkommt, verliert er seine Glaubwürdigkeit.
CDU-Stadträtin Manuela Anders-Granitzki bringt es auf den Punkt: „Naturschutzrecht ist kein Bauverhinderungsrecht.“
Doch genau das ist es geworden. Jede neue Idee endet im Paragraphendschungel. Jede Ausnahmeregelung führt zur nächsten Klage.
Währenddessen steigen die Mieten, der Wohnungsbau bricht ein – und auf Kriegers Gelände wachsen Birken, wo längst Wohnungen stehen sollten.
Die Kosten des Stillstands
Der Unternehmer hat inzwischen über eine Milliarde Euro eingeplant – inklusive Denkmalschutz, Ersatzhabitate, Umweltsanierung.
Einen alten Lokschuppen wollte er abreißen, um Platz für das Krötenrefugium zu schaffen. Das Verwaltungsgericht stoppte ihn – Denkmalschutz.
Der Naturschutzbund NABU wiederum blockiert den geplanten Möbelmarkt, weil er „kein öffentliches Interesse“ sehe. Wohnungen ja, Möbelhaus nein – als würde das eine ohne das andere funktionieren.
Ein deutsches Lehrstück
Was in Berlin passiert, ist kein Einzelfall. Es ist ein Symptom.
Ein Land, das einst Flughäfen, Autobahnen und ganze Städte aus dem Boden stampfte, verliert sich heute in Formularen, Einsprüchen und Zuständigkeiten.
Die EU verlangt nur, gefährdete Arten zu schützen – Deutschland hat daraus ein bürokratisches Monster gemacht. Jede Kröte bekommt ein eigenes Kapitel im Bundesnaturschutzgesetz. Jede Baustelle ein Dossier.
Wer hier etwas bewegen will, braucht Geduld, Geld und Nerven aus Stahl. Und meistens alles davon vergeblich.
Ende offen
Noch immer verhandeln Senat, Bezirksamt und Umweltverbände. Noch immer werden Kreuzkröten gezählt, während der Berliner Wohnungsmarkt ächzt.
Architekt Nöfer glaubt nicht mehr an einen baldigen Baustart. „Man will es einfach nicht“, sagt er.
Und während die Bäume weiterwachsen, verschwindet die Kreuzkröte langsam von selbst – ausgerechnet durch das Dickicht, das zu ihrem Schutz entstand.
So löst sich das Problem vielleicht irgendwann von allein.
Nur dass dann niemand mehr da ist, um die Wohnungen zu bauen.