14. September, 2025

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Kreuzfahrt: Der Boom, den keiner kommen sah

Nach der Pandemie abgeschrieben, jetzt Rekorde – warum Seereisen so stark zurückkehren, die Börse feiern lassen und zugleich neue Konflikte mit Häfen, Umwelt und Politik provozieren. Ein Markt zwischen Rausch und Risiko.

Kreuzfahrt: Der Boom, den keiner kommen sah
Schiffe immer größer – Zwischen 2015 und 2025 stieg die durchschnittliche Schiffsgröße um fast 20 Prozent; Ozeanriesen mit über 100.000 BRZ haben sich mehr als verdoppelt – Häfen und Städte ächzen.

Der Aufschwung aus dem Maschinenraum

Die Zahlen sind eindeutig: 34,6 Millionen Gäste weltweit im vergangenen Jahr – rund 16,5 Prozent über 2019. US-Marktführer legen zweistellige Renditen vor, die Aktien von Royal Caribbean und Carnival laufen dem S&P 500 davon. Während die Luftfahrt mühsam an alte Niveaus heranarbeitet, haben die „schwimmenden Städte“ ihre Krise abgehakt – und die Nachfrage zieht weiter an.

Quelle: Eulerpool
Quelle: Eulerpool

Managerwechsel – vom Charisma zur Kalkulation

Oben auf der Brücke hat die Branche die Besatzung getauscht: Statt charismatischer Patriarchen führen seit der Pandemie Finanzstrategen. Bei Carnival wurden Zwischenholdings eingedampft, Tochtergesellschaften enger an die Zentrale gelegt, Kosten diszipliniert.

Die Botschaft: Jeder Quadratmeter Deckfläche muss rechnen. Das merken Passagiere an gestiegenen Preisen – sie buchen trotzdem, weil auch der Urlaub an Land teurer wurde.

Größer, schwerer, lukrativer

„Big is beautiful“ ist mehr als ein Slogan. Zwischen 2015 und Ende 2025 steigt die durchschnittliche Passagierzahl pro Schiff um rund 15 Prozent, die BRZ-Tonnage um knapp 20 Prozent.

Umweltversprechen wackeln – Landstrom, LNG und Methanol-Ready-Schiffe sind Fortschritte – doch echte Klimaneutralität bleibt bis mindestens 2050 Wunschdenken.

Die Flotte der Ozeanriesen (100.000 BRZ und mehr) hat sich mehr als verdoppelt. Die Ökonomie dahinter ist schlicht: Skaleneffekte drücken Stückkosten, Bordumsätze steigen mit jeder zusätzlichen Kabine. Royal Caribbean treibt das Prinzip mit der „Icon“-Klasse auf die Spitze – die neue „Star of the Seas“ fasst bis zu 7.600 Gäste und soll sich laut Branchenrechnungen in vier Jahren amortisieren.

Geld bleibt an Bord – und an der Privatinsel

Die zweite Gewinnregel lautet: Wertschöpfung im eigenen Ökosystem halten. Wasserrutschen, Surfsimulator, Spezialitätenrestaurants – jeder Extra-Euro fließt in die Bordkasse.

An Land sichern private Inseln die Kette: Carnival hat „Celebration Key“ auf Grand Bahama eröffnet, ausgelegt für zwei Millionen Gäste im Jahr. Investitionssumme: rund 600 Millionen Dollar; die Ertragserwartung im hohen zweistelligen Millionenbereich pro Jahr. Ergebnis: operative Margen von 15 bis 25 Prozent sind wieder erreichbar, im Premium-All-Inclusive-Segment sogar mehr.

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Der neue Angreifer: MSC

Zwischen die US-Giganten drängt MSC – familiengeführt, kapitalstark, aggressiv in den USA. Eigener Megaterminal in Miami, eigene Privatinsel auf den Bahamas, Kampfpreise zur Markteroberung. Hinter den Kulissen kursiert, dass ein noch größeres Schiff in Planung ist, das die Icon-Klasse übertrifft.

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Für die Etablierten ist das mehr als ein Störgeräusch: Es verschärft den Kapazitäts- und Preisdruck in einem ohnehin eng getakteten Bau- und Hafenmarkt.

Luxus fährt zweigleisig

Parallel wächst die Oberklasse: Expeditionsyachten, Edelmarken, Hotelketten wie Ritz-Carlton oder Four Seasons drängen aufs Wasser.

Die Zielgruppe zahlt für Raum und Ruhe; die Renditelogik bleibt ähnlich – hohe Bordspannen, lange Vorausbuchungen, verlässliche Auslastung. Wer beides kann – Megaschiff in der Karibik und Boutique-Yacht in der Antarktis – diversifiziert das Risiko über Konjunkturen und Regionen.

Häfen am Limit – Akzeptanz als Währung

Der Boom trifft auf enge Infrastrukturen. Gebühren von 80.000 bis 90.000 Euro pro Hafentag sind verlockend, doch die Akzeptanz kippt, wenn gleichzeitig Busse stauen und Altstädte kollabieren.

Venedig und Amsterdam haben die großen Schiffe aus den Innenstädten verbannt; Barcelona limitiert Anläufe – und genehmigt doch neue Terminals.

Wer dauerhaft willkommen sein will, braucht klare Slot-Systeme, verlässliche Verteilpläne und sichtbare Investitionen in lokale Infrastruktur. Ohne belastbare Vereinbarungen fällt politischer Rückenwind schneller trocken als ein Hafenbecken bei Ebbe.

Tourismus unter Druck – Venedig verbannte Kreuzfahrtschiffe aus der Altstadt, doch die Massen kommen weiter: 80.000 bis 90.000 € Hafengebühren pro Schiff locken – trotz wachsendem Unmut der Einwohner.

Geopolitik: Wenn Fahrgebiete verschwinden

Krieg und Terror verschieben Routen. Sankt Petersburg, Schwarzes Meer, Teile des Roten Meers und Nahost fallen temporär aus; Transfers um Afrika verteuern und verlängern Umläufe.

Reedereien reagieren mit kurzfristigen Umlenkungen, doch die Zahl attraktiver Alternativen bleibt begrenzt. Für einen Markt mit hohem Anteil an Wiederholern ist das ein strategisches Risiko: Wer Neues sehen will, erwartet neue Ziele – in Afrika, Asien oder auf entlasteten Sekundärhäfen.

Nachhaltigkeit: Fortschritte – und ein dickes Brett

Landstrom, LNG- und Methanol-Ready-Motoren, erste Pilotprojekte Richtung E-Antrieb: Technisch bewegt sich die Branche. Gleichzeitig klafft die Lücke zum selbst gesetzten Ziel „Netto-null bis 2050“ noch weit.

Verfügbare Mengen an grünen Kraftstoffen sind unsicher, Preise hoch, Umrüstung dauert. Ohne regulatorische Planungssicherheit und Skalierung der Lieferketten bleibt Klimaneutralität eine Projektionsfläche – und ein Reputationsrisiko, das politisch jederzeit schärfer reguliert werden kann.

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Deutschland: Wachstum mit Deckel

Der hiesige Markt hat Potenzial – mittelfristig bis 4,5 Millionen Gäste –, aber klare Präferenzen: Balkonkabinen statt Innenmall, Schiffskapazitäten um 4.000 Passagiere gelten vielen Reedereien als Obergrenze. Wer hier wachsen will, wird es mit cleverer Saisonverlängerung, besseren Bahn-/Fluganbindungen zu den Häfen und stärkerer Verzahnung mit Städte- und Naturtourismus tun müssen – nicht mit immer größeren Rümpfen.

Die Börse feiert – und testet zugleich die Nerven

Royal Caribbean ist an der Börse zeitweise mehr wert als der eigene Umsatz vermuten lässt; Carnival hat sich spürbar erholt, trägt aber noch Schuldenberge aus der Pandemie. Solange die Auslastung hoch bleibt, trägt die Story. Dreht die Konjunktur – oder bremsen neue Umweltauflagen die Kapazitätsnutzung –, wird aus dem Rückenwind schnell Seitenwind.

Was bleibt

Der Comeback-Code der Branche ist kein Geheimnis: Größe, vertikale Kontrolle der Wertschöpfung, striktes Kostenregime, aggressive Vermarktung – flankiert von Luxus-Nischen mit hoher Zahlungsbereitschaft.

Genau darin liegt die größte Gefahr: Wer nur auf noch größere Schiffe, noch dichtere Fahrpläne, noch härtere Auslastung setzt, riskiert die „License to operate“ in Häfen und Politik. Der Boom wird nicht an der Nachfrage scheitern. Er scheitert – wenn überhaupt – an den eigenen Ambitionen.

Wer jetzt Kurs auf nachhaltige Treibstoffe, verlässliche Hafenabkommen und intelligentes Wachstum nimmt, fährt vorneweg. Alle anderen erleben, wie Rückenwind in der nächsten Bucht plötzlich abflaut.

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