Die Krankmeldungen in Deutschland entwickeln sich zu einem ökonomischen Faktor von erheblichem Gewicht. Im Jahr 2024 verursachten krankheitsbedingte Ausfälle Produktionsverluste von rund 134 Milliarden Euro. Rechnet man den entgangenen Mehrwert hinzu, schrumpfte die Bruttowertschöpfung um insgesamt 227 Milliarden Euro. Das zeigt ein aktueller Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Die Dimension ist klar: Krankheit ist längst kein Randthema mehr, sondern ein strukturelles Problem für die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft.
Die Fehlzeiten steigen kontinuierlich
Im Durchschnitt war jeder Beschäftigte im vergangenen Jahr 20,8 Tage krankgeschrieben. Vor fünf Jahren lag dieser Wert noch bei 17,1 Tagen. Der Trend zeigt deutlich nach oben. Gleichzeitig ist der wirtschaftliche Schaden pro Fehltag gestiegen. Ein einzelner Krankheitstag verursachte 2024 im Schnitt einen Produktionsausfall von 152 Euro. Damit summierte sich der jährliche Ausfall pro Arbeitnehmer auf rund 3177 Euro.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass nicht nur mehr Menschen fehlen, sondern dass jede einzelne Abwesenheit teurer wird. Steigende Löhne, höhere Wertschöpfung pro Arbeitsstunde und engere Produktionsprozesse verstärken den Effekt.

Muskel, Atemwege und Psyche dominieren
Die Ursachen der Krankmeldungen sind breit verteilt. Am häufigsten führen Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes zu Fehlzeiten. Sie machen knapp ein Fünftel aller Krankentage aus. Dazu zählen Rückenprobleme, Bandscheibenvorfälle oder Sehnenscheidenentzündungen.
An zweiter Stelle folgen Erkrankungen der Atemwege wie Grippe oder Infekte. Psychische Erkrankungen liegen mit knapp 17 Prozent auf Rang drei. Ein erheblicher Teil der Fehlzeiten entfällt zudem auf eine Vielzahl sonstiger Diagnosen, die statistisch nicht weiter differenziert werden.
Öffentlicher Dienst und körperliche Arbeit besonders betroffen
Zwischen den Branchen zeigen sich deutliche Unterschiede. Die höchsten Fehlzeiten verzeichneten 2024 Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie in Erziehung und Gesundheitswesen. Dort lagen die Krankentage im Schnitt bei über 26 Tagen pro Jahr.
Auch körperlich anspruchsvolle Branchen fallen auf. Im produzierenden Gewerbe, im Bau sowie im Handel, Verkehr und Gastgewerbe lagen die Fehlzeiten deutlich über dem Durchschnitt. Vergleichsweise selten krank waren dagegen Beschäftigte in der IT- und Kommunikationsbranche. Dort kamen Arbeitnehmer im Schnitt auf gut 14 Fehltage.

Die Sozialkassen zahlen mit
Neben den Produktionsausfällen belasten Krankmeldungen auch die Sozialversicherungen. Die Kosten für die gesetzliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beliefen sich 2024 auf rund 72 Milliarden Euro. Damit lagen sie mehr als ein Viertel höher als noch fünf Jahre zuvor.
Für Unternehmen bedeutet das steigende Lohnkosten ohne entsprechende Gegenleistung. Für die Sozialkassen verschärft sich der Finanzierungsdruck in einer Phase, in der demografische Faktoren ohnehin auf die Systeme wirken.
Ruf nach unbezahlten Karenztagen
Angesichts der Entwicklung fordert der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen einen grundlegenden Kurswechsel. Er plädiert für drei unbezahlte Karenztage zu Beginn einer Krankmeldung. Ziel sei es, Fehlanreize zu beseitigen und Missbrauch einzudämmen.
Raffelhüschen argumentiert, dass finanzielle Anreize das Verhalten am stärksten beeinflussen. Wer tatsächlich krank sei, werde weiterhin fehlen. Wer jedoch ohne ernsthaften Grund krankfeiere, müsse die Konsequenzen selbst tragen. Der Vorschlag ist bewusst drastisch und stößt auf Widerstand, trifft aber einen Nerv in der Debatte.
Misstrauen gegenüber bestehenden Regeln
Besonders kritisch sieht Raffelhüschen vereinfachte Zugänge zur Krankschreibung. Telefonische und elektronische Verfahren senkten die Hürden weiter. Doch schon vor deren Einführung lag Deutschland bei den Krankheitstagen im internationalen Vergleich weit vorn.
Auffällig sei zudem die Häufung von Krankmeldungen rund um Brückentage und verlängerte Wochenenden. Das sei kein medizinisches, sondern ein systemisches Problem. Ohne spürbare Gegenanreize lasse sich daran wenig ändern.
Ein Konflikt zwischen Fairness und Effizienz
Die Debatte berührt einen sensiblen Punkt. Unbezahlte Karenztage träfen auch Arbeitnehmer, die kurzfristig tatsächlich erkranken. Gleichzeitig tragen Kollegen und Unternehmen die Last, wenn Fehlzeiten missbräuchlich genutzt werden.
Die Zahlen zeigen: Der wirtschaftliche Schaden ist real und wächst. Ob der politische Wille besteht, tief in bestehende Regelungen einzugreifen, bleibt offen. Klar ist nur, dass sich die deutsche Wirtschaft eine weitere Eskalation der Fehlzeiten kaum leisten kann.



