Ein Beschluss, der sofort Widerstand entfacht
Keine Vorlaufzeit, keine Abtastphase – die politische Reaktion kam unmittelbar. Kaum hatte das Bundeskabinett entschieden, neu eingereisten Ukrainern künftig statt Bürgergeld nur noch die niedrigeren Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes zu zahlen, warnte der Deutsche Gewerkschaftsbund vor einem „Irrweg“.
Der DGB formulierte selten so scharf: Der Schritt sei integrationsfeindlich, wirtschaftlich kurzsichtig und arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Ein ungewöhnlicher Ton, der zeigt, wie angespannt die politische Lage ist.
Denn das Thema berührt zwei zentrale Fragen zugleich: Kostenkontrolle und Arbeitskräftemangel – ein Spannungsfeld, das die Regierung seit Monaten kaum überzeugend moderiert.

Der entscheidende Bruch: Integration vs. Sparlogik
Anja Piel vom DGB stellte klar, worum es aus ihrer Sicht geht: Der Wechsel vom Bürgergeld ins Asylrecht sei keine Entlastung, sondern ein Integrationshemmnis. Wer Menschen Sprachkurse, Weiterbildungen und arbeitsmarktnahe Förderung verweigere, verhindere genau das, was Deutschland angesichts des Fachkräftemangels dringend benötigt: Arbeitskräfte, die schnell produktiv werden.
Der Kern ihrer Kritik: Gute Integration spart langfristig Geld – schlechte Integration kostet es.
Und tatsächlich zeigt der Gesetzesentwurf ein paradoxes Bild: Den geplanten Einsparungen von 1,1 Milliarden Euro im Bürgergeld stehen 1,3 Milliarden Euro Mehrausgaben im Asylbewerberleistungsrecht gegenüber. Höhere Unterkunfts- und Gesundheitskosten überlagern die erwartete Entlastung.
Ein Kabinettsbeschluss ohne Rückhalt der eigenen Ministerin
Dass die Entscheidung selbst im Ressort von Arbeitsministerin Bärbel Bas auf Distanz stößt, verschärft die Lage. Bas erklärte offen, sie bedauere den Schritt – ergebe sich jedoch aus Koalitionsdisziplin.
Selten formuliert eine Fachministerin derart unverblümt Zweifel an einem eigenen Kabinettsbeschluss. Für die SPD ist das problematisch, denn Teile der Partei laufen bereits dagegen Sturm. Abgeordnete und Jobcenter-Fachleute warnen, die Kürzungen könnten das Gegenteil dessen bewirken, was die Regierung erreichen wolle.
In der Praxis würde die Regelung bedeuten: Menschen mit Bleibeperspektive werden schlechter gestellt als bisher – und erhalten weniger Unterstützung, um überhaupt in Beschäftigung zu kommen.
Der Bundesrat wird zum Konfliktherd
Der Beschluss ist zustimmungspflichtig. Das gibt den Ländern erheblichen Einfluss – und viele von ihnen haben bereits signalisiert, dass sie Bedenken haben. Die Kombination aus kommunaler Kostenbelastung, integrationspolitischen Risiken und offenen Kritikpunkten der Fachministerin macht eine Zustimmung keineswegs sicher.
Beobachter rechnen mit langen Verhandlungen, in denen finanzielle Ausgleichsmechanismen, Härtefallregelungen oder Ausnahmen eine Rolle spielen könnten. Eine schnelle Einigung ist unwahrscheinlich.

Ökonomisch fragwürdig, politisch riskant
Dass die Bundesregierung angesichts steigender Sozialausgaben nach Einsparungen sucht, ist nachvollziehbar. Doch der konkrete Schritt zeigt, wie kompliziert die Balance zwischen Integrationsanspruch und Kostendruck ist.
Einige Ökonomen warnen bereits:
Wird die Arbeitsmarktintegration ausgerechnet jener Gruppe erschwert, die bislang zu den am schnellsten integrierten Geflüchteten zählt, könnte Deutschland sich wirtschaftlich selbst schaden.
Politisch droht zudem ein doppeltes Risiko:
- Die SPD wirkt intern zerstritten.
- Die Opposition erhält neue Angriffsflächen, um die Migrationspolitik der Ampel als widersprüchlich darzustellen.
Was jetzt zählt
Ob der Bürgergeld-Stopp für Ukrainer umgesetzt wird, entscheidet sich nicht im Kabinett, sondern im Bundesrat. Dort wird sich zeigen, wie belastbar das Argument ist, man spare Kosten – obwohl die Zahlen genau das Gegenteil nahelegen.
Es ist eine Debatte, die über die Frage hinausgeht, welche Leistungen der Staat Geflüchteten gewährt. Sie entscheidet darüber, ob Deutschland Integration als Investition versteht – oder als kurzfristigen Buchungsposten.



