Ein staatliches Depot für jedes Kind
Es ist ein Paradigmenwechsel, wie ihn Deutschland so noch nicht gesehen hat: Ab dem 1. Januar 2026 soll jedes schulpflichtige Kind zwischen sechs und siebzehn Jahren automatisch ein vom Staat gefördertes Depot erhalten. Zehn Euro im Monat überweist der Bund – ohne Antrag, ohne Papierkrieg. Das Geld fließt in ein langfristig gesperrtes Konto, das bis zur Rente steuerfrei wächst.
Die Idee dahinter: Kinder sollen früh an den Kapitalmarkt herangeführt werden, um später besser für das Alter vorzusorgen. Weg vom reinen Umlagesystem, hin zu mehr Eigenverantwortung und Kapitaldeckung – ein Schritt, den CDU und SPD im Koalitionsvertrag als „Generationenprojekt“ bezeichnen.
„Wir wollen das Bewusstsein für Vermögensbildung stärken“, heißt es aus Regierungskreisen. Ein Signal, das in Zeiten wachsender Altersarmut und schwächelnder Rentenkassen durchaus ankommt.
Vom Taschengeld zur Altersvorsorge – wie viel das bringt
Auf den ersten Blick klingt das Programm unscheinbar. Zehn Euro pro Monat, das ergibt über zwölf Jahre gerade einmal 1.440 Euro. Doch dank Zinseszinseffekt kann daraus beachtlich viel werden.
Wird das Geld etwa in einen ETF mit sechs Prozent Rendite investiert, wächst das Startkapital bis zum 18. Lebensjahr auf gut 2.100 Euro. Bleibt es unangetastet bis zur Rente, könnten daraus laut Berechnungen rund 39.000 Euro werden – ohne zusätzliche Einzahlungen. Wer ab der Volljährigkeit selbst weiter 10 Euro monatlich spart, hat im Alter realistische Chancen auf über 80.000 Euro.
Das zeigt: Es geht weniger um die Summe, sondern um den frühen Einstieg. Der Staat setzt damit auf einen erzieherischen Effekt – Kinder sollen nicht nur profitieren, sondern auch verstehen, wie Kapitalmärkte funktionieren.
Offene Fragen – und alte Fehler?
Doch so ambitioniert das Konzept klingt, so groß sind auch die Zweifel. Noch ist unklar, wie genau das Geld angelegt werden soll, wer die Depots verwaltet und welche Produkte zulässig sind. Die Rede ist von standardisierten ETF-Lösungen, aber konkrete Regeln fehlen. Auch zu Gebühren oder Absicherung gibt es bislang keine Vorgaben.
Kritiker warnen bereits vor einer Neuauflage alter Probleme. „Ohne klare Struktur und günstige Produkte droht eine zweite Riester-Rente“, sagt ein Branchenkenner. Der Verwaltungsaufwand könnte immens sein, insbesondere, da die Förderung an den Schulbesuch gekoppelt ist. Kinder in alternativen Bildungswegen – etwa im Freiwilligen Sozialen Jahr oder in Übergangsphasen – könnten leer ausgehen.
RWI-Präsident Christoph M. Schmidt sieht eine andere Gefahr: „Zehn Euro im Monat erzeugen schnell eine trügerische Sicherheit. Ohne Eigeninitiative bleibt der Lerneffekt gering.“ Auch DIW-Experte Lukas Menkhoff mahnt, die Maßnahme müsse pädagogisch begleitet werden, sonst bleibe sie „ein gut gemeinter, aber wirkungsschwacher Tropfen auf den heißen Stein“.
Ein Großversuch in Finanzbildung
Trotz Kritik zeigt die Initiative, wie stark der politische Wille ist, das deutsche Vorsorgesystem zu verändern. Während andere Länder längst auf kapitalgedeckte Modelle setzen – etwa Schweden mit seinem Staatsfonds AP7 – hat Deutschland das Thema Jahrzehnte verschleppt.
Mit der Frühstart-Rente soll nun ein Generationenexperiment beginnen: Millionen Kinder erhalten zum ersten Mal ein Depot, das ihnen zeigt, was Rendite, Risiko und Zinseszins bedeuten. Ob daraus echte finanzielle Kompetenz entsteht, hängt jedoch von der Umsetzung ab – und davon, ob Eltern, Schulen und Politik an einem Strang ziehen.
Ein guter Gedanke mit fragiler Basis
Die Frühstart-Rente könnte der Auftakt zu einer neuen Kultur des Sparens in Deutschland werden. Frühzeitige Kapitalbildung, steuerfreie Erträge, finanzielle Bildung – die Idee trifft den Nerv der Zeit. Doch sie steht auf wackeligem Fundament.
Ohne klare Anlagevorgaben, einfache Strukturen und transparente Kosten droht das Projekt, in Bürokratie zu versanden – bevor es überhaupt Fahrt aufnimmt. Der Staat will Kindern den Einstieg in den Kapitalmarkt schenken. Aber ob dieses Geschenk wirklich ankommt, wird sich erst zeigen, wenn die ersten Depots laufen – und die ersten Fragen gestellt werden.
