Der Vorsprung der USA bei Künstlicher Intelligenz ist messbar. Er steckt in Hochleistungschips, Software-Ökosystemen und gigantischen Rechenzentren. Doch er schrumpft. Chinas Antwort auf amerikanische Exportkontrollen ist kein Frontalangriff, sondern eine Kombination aus Umgehung, Arbeitsteilung und staatlicher Industriepolitik. Der Effekt: Chinesische KI-Anbieter holen schneller auf, als viele in Washington erwartet hatten.

Exportkontrollen bremsen, stoppen aber nicht
Die US-Regierung hat den Zugang Chinas zu modernsten KI-Chips gezielt eingeschränkt. Insbesondere Produkte von NVIDIA dürfen nur noch in abgespeckten Versionen exportiert werden. Ziel ist es, den technologischen Vorsprung der USA zu sichern. In der Praxis haben die Maßnahmen die Entwicklung chinesischer KI jedoch nicht zum Stillstand gebracht, sondern räumlich verlagert.
Chinesische Konzerne behandeln die Beschränkungen als logistische Hürde, nicht als Entwicklungsstopp. Training und Skalierung großer Modelle werden dorthin verlegt, wo moderne Hardware verfügbar ist – jenseits der eigenen Landesgrenzen.
KI-Training wandert nach Japan und Australien
Ein prominentes Beispiel ist Tencent. Nach Recherchen der Financial Times nutzt der Konzern Rechenzentren in Japan, um dort KI-Modelle mit modernsten Nvidia-Chips zu trainieren. Auch in Australien entstehen entsprechende Kapazitäten.
Der Fall zeigt die Grenzen nationaler Exportkontrollen in einem globalisierten Technologiemarkt. Rechenleistung ist mobil, Datenströme sind international. Wer Zugang zu Kapital, Ingenieuren und Partnern hat, findet Wege.
Südostasien wird zum KI-Hinterland
Japan ist kein Einzelfall. Branchenkenner sehen Südostasien als neuen Trainingsraum für chinesische KI-Anbieter. Länder wie Singapur, Malaysia und Indonesien bieten stabile Infrastrukturen, politische Offenheit und Zugang zu moderner Hardware.
Der Technologieexperte Peter Fintl beschreibt eine zunehmende Arbeitsteilung: Rechenintensive Trainingsphasen finden im Ausland statt, Betrieb, Feinjustierung und Anwendung der Modelle überwiegend in China. Das ermöglicht Tempo – und hält zugleich den Aufbau eigener Kapazitäten am Laufen.
DeepSeek und die Debatte um den schrumpfenden Abstand
Anfang 2025 rückte das chinesische Start-up DeepSeek international in den Fokus. Die Leistungsfähigkeit seines Modells befeuerte die Diskussion, wie groß der technologische Abstand zu den USA tatsächlich noch ist. Viele Beobachter erwarten, dass sich dieser Abstand bis 2026 weiter verringert.

Für Peking ist klar: Auslands-Training ist eine Übergangslösung. Strategisches Ziel bleibt technologische Eigenständigkeit – insbesondere bei Halbleitern.
Eigene Chips als strategischer Endpunkt
Langfristig will China die Abhängigkeit von US-Technologie reduzieren. Im Zentrum steht der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Chipindustrie. Unternehmen wie Huawei entwickeln eigene KI-Beschleuniger, die zwar noch nicht die Effizienz westlicher Spitzenprodukte erreichen, aber kontinuierlich besser werden.
Dabei verfolgt China einen anderen Ansatz als die USA: Perfektion ist nicht zwingend. Wenn einzelne Chips schwächer sind, wird der Nachteil durch größere Cluster kompensiert.
Strom wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor
Genau hier greift ein weiterer Hebel: Energiepolitik. Künstliche Intelligenz ist keine reine Softwarefrage, sondern eine stromintensive Industrie. China hat das früh verstanden. Staat und Provinzen fördern gezielt den Bau von Rechenzentren und Industrieclustern.
Ein zentrales Instrument sind Stromsubventionen. Betreiber erhalten teils erhebliche Rabatte, wenn sie heimische KI-Chips einsetzen. Die Logik ist nüchtern: Geringere Chip-Effizienz wird durch mehr Rechenleistung ausgeglichen, die zusätzlichen Energiekosten trägt der Staat.
Erneuerbare Energien als KI-Standortvorteil
Vor diesem Hintergrund wirkt Chinas massiver Ausbau von Solar- und Windkraft weniger ideologisch als industriepolitisch. Das Land hat in kurzer Zeit enorme Kapazitäten geschaffen und sich damit einen Standortvorteil für daten- und energiehungrige Industrien gesichert.
In den USA mehren sich dagegen Warnungen, dass Stromnetze, Genehmigungsverfahren und lokale Widerstände zum Engpass für neue Rechenzentren werden könnten. Der KI-Wettbewerb entscheidet sich damit nicht nur im Chipdesign, sondern an der Steckdose.
Der Vorsprung der USA ist real – aber angreifbar
Analysten sehen die USA bei Hochleistungschips weiterhin vorn. Doch sollte es China gelingen, die Effizienzlücke seiner Chips weiter zu schließen, träfe diese Entwicklung auf bestehende Stärken: große Produktionskapazitäten, staatlich koordinierte Infrastruktur und vergleichsweise stabile Energieversorgung.
Dann würde sich das Kräfteverhältnis im globalen KI-Wettbewerb spürbar verschieben. Nicht abrupt, nicht spektakulär – aber dauerhaft. Genau darin liegt die eigentliche Gefahr für den bisherigen Marktführer.



