Die Stimmung an den Finanzmärkten ist so gut wie lange nicht mehr – und genau das macht sie gefährlich. Fondsmanager sind optimistischer als seit über drei Jahren, die Kassen sind leer investiert, US-Techaktien übergewichtet wie selten zuvor. Eigentlich ein klassisches Warnsignal. Und doch passiert das Gegenteil dessen, was man erwarten würde: Die Profis bleiben drin.
Der Grund dafür liegt nicht in blindem Vertrauen, sondern in einer strukturellen Falle.
Der Optimismus erreicht einen kritischen Punkt
Der viel beachtete Fondsmanager-Sentimentindex der Bank of America steht aktuell bei 7,4 von 10 Punkten – dem höchsten Wert seit rund dreieinhalb Jahren. Historisch war genau das oft kein gutes Zeichen. Extreme Zuversicht erwies sich immer wieder als nachlaufender Indikator: Wenn die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht, sind die Kurse häufig schon weit gelaufen.
Hinzu kommt ein zweiter, noch gewichtigerer Befund. Die Cash-Quote der befragten Manager ist auf 3,3 Prozent gefallen – so niedrig wie nie seit Beginn der Erhebung. Übersetzt heißt das: Das Pulver ist verschossen. Wer investiert ist, kann kaum noch nachlegen. Wer aussteigt, geht ein hohes relatives Risiko ein.
US-Techwerte gelten als Risiko und Pflicht zugleich
Ausgerechnet dort, wo die Profis die größten Risiken sehen, sind sie am stärksten engagiert: in US-Technologiewerten. Diese Diskrepanz wirkt widersprüchlich, ist es aber nicht. Sie ist das Resultat eines Benchmark-Systems, das keine Abweichung verzeiht.
Institutionelle Investoren messen ihren Erfolg nicht absolut, sondern relativ – meist am MSCI World oder am S&P 500. Beide Indizes werden seit Jahren von einer kleinen Gruppe US-Techkonzerne dominiert. Wer diese Titel untergewichtet, läuft Gefahr, dauerhaft hinter dem Vergleichsmaßstab zurückzubleiben. Und wer dauerhaft underperformt, verliert Mandate.
Die Entscheidung für Tech ist damit weniger eine Wette als eine Absicherung der eigenen Existenz.
Der voll investierte Bär wird zur Leitfigur
Die „Financial Times“ hat für dieses Phänomen einen treffenden Begriff geprägt: den voll investierten Bären. Gemeint sind Anleger, die das Risiko einer Korrektur klar erkennen, aber dennoch vollständig engagiert bleiben – weil der Preis des Ausstiegs zu hoch erscheint.
Liquidität ist reichlich vorhanden, die US-Zinsen sind gesunken, die Kursdynamik der Techriesen bleibt intakt. In diesem Umfeld wird Vorsicht bestraft. Wer auf Sicherheit setzt, verliert relativ – und das zählt in der Welt professioneller Vermögensverwaltung mehr als absolute Verluste.
Privatanleger stecken im gleichen Dilemma
Was für Fondsmanager gilt, trifft Privatanleger in abgewandelter Form ebenfalls. Zwar müssen sie sich nicht an Benchmarks rechtfertigen, doch der psychologische Effekt ist ähnlich. Wer breit über ETFs investiert, ist automatisch stark in US-Tech engagiert – ob bewusst oder nicht.
Wer versucht, den Markt zu schlagen, steht vor einem noch größeren Zwang. Ohne Beteiligung an den großen Gewinnern ist Outperformance kaum möglich. Entsprechend konzentrieren sich Käufe auch bei Privatanlegern auf dieselben Namen. Auf Plattformen wie Robinhood zählen Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Alphabet, Meta und Tesla zu den meistgekauften Aktien.

Die Opportunitätskosten des Verzichts sind real
Wie teuer es sein kann, nicht dabei zu sein, zeigt eine Analyse des Family-Offices HQ Trust. In den vergangenen fünf Jahren legte der MSCI All-Country World Index um 94 Prozent zu. Ohne die sogenannten Magnificent Seven hätte der Zuwachs lediglich 70 Prozent betragen.
Der Verzicht auf US-Tech bedeutete also einen massiven Renditeverlust. Diese Erfahrung prägt das Verhalten vieler Anleger stärker als jede Warnung vor Überbewertungen.
Warnungen sind laut – vielleicht zu laut
Paradoxerweise verstärken gerade die zahlreichen Mahnungen vor einer Tech-Korrektur das Zögern beim Ausstieg. Denn viele Anleger haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass genau solche Warnphasen von weiter steigenden Kursen gefolgt wurden.
Wer zu früh verkauft, steht an der Seitenlinie – und sieht zu, wie der Markt weiterläuft. Dieses Szenario wiegt für viele schwerer als das Risiko einer späteren Korrektur.
Diversifikation statt Totalverzicht
Die Konsequenz daraus ist kein Alles-oder-nichts-Ansatz. Weder blinder Optimismus noch vollständiger Rückzug liefern eine tragfähige Strategie. Was bleibt, ist Diversifikation: neben US-Tech auch europäische Aktien, Rohstoffe, Gold, alternative Anlagen.
Nicht investiert zu sein, ist in diesem Marktumfeld keine Lösung. Dafür sind die strukturellen Zwänge zu stark, die Opportunitätskosten zu hoch und der Druck der Benchmarks zu allgegenwärtig.
Der Boom der KI- und Techaktien mag riskant sein. Aber draußen zu bleiben, ist es ebenfalls.


