Wenn Wasser zur Gewalt wird
Es dauerte keine Stunde – dann stand alles unter Wasser. In Kerrville, einer Kleinstadt im Herzen von Texas, rauschte der Guadalupe River am 4. Juli mit ungeheurer Kraft über seine Ufer.
Innerhalb von nur 45 Minuten stieg der Pegel laut dem texanischen Vize-Gouverneur Dan Patrick um 26 Fuß, das sind knapp acht Meter. Die Wassermassen rissen nicht nur Bäume, Brücken und Fahrzeuge mit, sondern auch Leben.
Mindestens 27 Menschen sind tot, über 20 Kinder aus dem Camp Mystic gelten noch immer als vermisst. Und ein ganzes Land fragt sich: Hätte man diese Tragödie verhindern können?
Ein Mädchenlager am falschen Ort
Camp Mystic ist ein traditionsreiches christliches Ferienlager für Mädchen, idyllisch gelegen – oder besser: gelegen gewesen – direkt am Fluss. Als die Wassermassen kamen, befanden sich dort noch zahlreiche Kinder.
Ob sie rechtzeitig gewarnt wurden, bleibt unklar. Sicher ist nur: Viele von ihnen werden noch vermisst. Ihre Eltern warten in provisorischen Reunification-Centern auf Nachrichten, oft stundenlang, meist vergeblich.

Auch das benachbarte „Heart O’ the Hills“-Camp wurde von den Fluten getroffen. Zwar war es zum Zeitpunkt des Unglücks nicht in Betrieb, dennoch kam eine Person ums Leben: die langjährige Camp-Direktorin Jane Ragsdale. Ihre Kollegen nennen sie eine „Kraft und Inspiration“. Ihre Familie muss nun mit einem Schmerz leben, für den es keine Worte gibt.
Warnungen gab es – aber sie kamen zu spät
Der nationale Wetterdienst meldete schon am Vortag steigende Wasserstände. Am Freitagmorgen erreichte der Fluss in Hunt, rund 20 Kilometer flussaufwärts, den zweithöchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.
Doch zwischen Prognose und Wirklichkeit klaffte eine gefährliche Lücke: Die Wasserwand raste schneller und wuchtiger durch die Schluchten der Texas Hill Country, als viele ahnen konnten. Die Bewohner von Kerrville und Ingram hatten kaum eine Chance.
Auch auf dem nahegelegenen Lake Travis stieg das Wasser dramatisch. Die Behörden warnten am Samstagmorgen vor weiteren Überschwemmungen im Großraum Austin.
Betroffen: Burnet, Williamson und Travis County. Meteorologen sprechen von einem „seltenen, gefährlichen Extremwetterereignis“. Der Klimawandel dürfte auch hier eine Rolle gespielt haben.
Rettung unter Hochdruck – mit Booten und Helikoptern
Die Bilder, die nun um die Welt gehen, wirken wie aus einem Katastrophenfilm: Menschen auf den Dächern ihrer Häuser, weggeschwemmte Fahrzeuge, Suchtrupps in Schlauchbooten.

Sogar Black-Hawk-Helikopter wurden eingesetzt, um Eingeschlossene zu retten. In Comfort, Texas, wateten Mitglieder der Boerne Search and Rescue durch knietiefes Wasser, während First Responder in Ingram Menschen zu Evakuierungszentren brachten. Manche wurden mit nur wenigen Habseligkeiten gerettet, andere gar nicht.
Ein Vater berichtet gegenüber lokalen Medien, dass seine Tochter zuletzt in einem Zelt am Flussrand schlief – „jetzt ist dort nichts mehr“. Viele Familien müssen nun das Undenkbare denken. Denn nach 72 Stunden schwindet die Hoffnung, Vermisste noch lebend zu finden.
Die eigentliche Katastrophe beginnt erst jetzt
So groß der Schock über die Opfer ist – in Texas beginnt jetzt eine zweite Welle der Katastrophe. Die Infrastruktur ist massiv beschädigt, Straßen zerstört, Stromleitungen heruntergerissen. Hunderte Menschen haben ihre Häuser verloren. Die Lage erinnert an die Flutkatastrophe in Deutschland 2021, doch die Behörden in Texas sind sichtbar überfordert.
Gleichzeitig entbrennt eine politische Debatte über mangelnde Frühwarnsysteme, unzureichende Bauvorschriften und den Einfluss des Klimawandels auf Extremwetterereignisse. In sozialen Netzwerken kritisieren Nutzer, dass Camps wie Mystic oder Heart O’ the Hills überhaupt in so unmittelbarer Nähe zum Fluss betrieben wurden – viele fordern ein Umdenken bei der Standortwahl.
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