Blechlawinen im Nirgendwo
Mehr als 10.000 Neuwagen stehen mittlerweile auf dem Werksgelände in Kaluga – viele von ihnen auf improvisierten Abstellflächen zwischen den Hallen.
Die Luftbilder sind eindeutig: Seit Monaten rollen Fahrzeuge der chinesischen Marke Chery auf das Gelände, aber kaum noch eines davon verlässt es wieder. Das Bild eines Marktes, der voll läuft – und kippt.
Dabei war Kaluga einmal das Vorzeigeprojekt westlicher Industriepolitik in Russland. Im Oktober 2009 kutschierte Wladimir Putin den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn im Golfcart durch die neue Fertigungshalle. Heute wirkt die Szene wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt.
VW ist abgezogen, Winterkorn gefallen, das Werk verramscht. Nur 125 Millionen Euro zahlten die neuen russischen Eigentümer für das milliardenschwere Engagement.
Chinas riskante Expansion
Nach dem Rückzug der westlichen Autobauer füllten chinesische Hersteller die Lücke – allen voran Chery. Für Chinas Staatskonzern war Russland kurzfristig ein Wachstumsmarkt ohne Konkurrenz.
Doch der Erfolg währt nicht lange: Die Kaufkraft der russischen Bevölkerung erodiert, Kredite sind wegen zweistelliger Leitzinsen unerschwinglich, die Inflation drückt auf die Konsumfreude.
Dazu kommt: Chery will das Russlandgeschäft sichtbar möglichst auf Distanz halten. Statt eigener Werke setzt der Konzern auf komplizierte Konstrukte mit Zwischenfirmen wie Defetoo, die über Containerzüge fast fertige Fahrzeuge ins Land bringen.
Das Verfahren nennt sich „Semi Knocked Down“ – die eigentliche Wertschöpfung verbleibt in China. Russische Manager sprechen spöttisch von Garagenproduktion.
Staatswirtschaft auf dem Abstellgleis
Während in Kaluga die Fahrzeuge auf Halde stehen, kollabiert der Absatz. Im März lag der Fahrzeugverkauf landesweit 45 Prozent unter Vorjahr, bei Firmenkunden sogar 61 Prozent.

Taxibetreiber und Flottenkunden fehlen das Kapital. Gleichzeitig türmen sich immer neue SUVs der Modelle Tiggo 7 und Tiggo 8 auf den Parkplätzen. Marktwert der abgestellten Fahrzeuge: rund 200 Millionen Euro.
Ein Automanager vor Ort bringt es trocken auf den Punkt: „Wenn die Regierung den Bau in Russland nicht massiv subventioniert, sind Grauimporte aus China immer billiger.“ Und genau die überschwemmen zunehmend den Markt.
Putins Abhängigkeit wächst
Für den Kreml wird das Desaster in Kaluga zunehmend politisch brisant. Russland hat seine Autoindustrie de facto an China ausgelagert, ohne Know-how-Transfer, ohne Lizenzen, ohne Technologiepartnerschaft.
Die einstmals stolzen Werke von VW, Mercedes und Co. montieren heute bestenfalls noch angelieferte Bauteile.
Peking diktiert die Bedingungen. Beim Besuch von Xi Jinping in Moskau machte Putin klar: Russland bekommt chinesische Mikrochips – und öffnet dafür seinen Automarkt vollständig. 90 Prozent der Chipimporte stammen inzwischen aus China. Putin braucht die Halbleiter – auch für seine Kriegsmaschinerie.
Kaluga als Symbol einer Deindustrialisierung
Das Drama von Kaluga ist längst kein Einzelfall mehr. Auch im ehemaligen Mercedes-Werk in Yesipov stapeln sich SUVs aus chinesischer Produktion. Zwar fließen dort Fahrzeuge noch eher ab, doch die Absatzkrise trifft auch Cherys Premium-Tochter Exeed massiv: 70 Prozent Verkaufsrückgang im Vorjahresvergleich.
Und der große Technologietransfer bleibt aus. Während einst sowjetische Autobauer wie Lada noch Fiat-Lizenzen montierten, blockiert China heute bewusst die Weitergabe von Entwicklungskompetenz. Für Russland bedeutet das: Es bleibt abhängig, technologisch abgehängt – und auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen Pekings ausgeliefert.
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