Politische Fördergelder werden zum Kern der Übernahmestrategie
Jindal Steel International verfolgt beim möglichen Kauf von Thyssenkrupps Stahlsparte eine klare Logik: Ohne staatliche Unterstützung für grünen Stahl lässt sich das operative Fundament nicht sanieren. Narendra Kumar Misra, Europachef des Konzerns, spricht ungewöhnlich offen darüber. Europa sei der einzige Markt, in dem emissionsarmer Stahl systematisch belohnt werde.
Für Jindal ist das ein entscheidender Teil der Rechnung. Länder wie die Niederlande oder die Slowakei haben bereits hohe Summen bereitgestellt, um Stahlwerke in klimafreundliche Prozesse zu überführen. Jindal sieht darin nicht nur ein politisches Signal, sondern ein Geschäftsmodell. Wenn die Regulierung das Produkt verteuert, steigt der Anreiz für Kunden, die Kosten einer klimafreundlichen Produktion mitzutragen.
Der Deal hängt am politischen Umfeld – nicht an der Hütte in Duisburg
Im September hat Jindal ein unverbindliches Angebot für TKSE abgegeben, flankiert von Investitionszusagen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Ein Kaufpreis steht nicht im Mittelpunkt – im Gegenteil: Branchenkreise halten einen negativen Kaufpreis für möglich. Das zeigt, wie stark der wirtschaftliche Wert der Sparte vom regulatorischen Umfeld abhängt.
Jindal prüft derzeit die Bücher, doch die entscheidenden Variablen liegen außerhalb des Werksgeländes. Der Preis für Wasserstoff, die CO₂-Bepreisung und die Zahlungsbereitschaft großer Industriekunden werden darüber entscheiden, ob sich eine Übernahme rechnet. Misra beschreibt den Markt für grünen Stahl als „entstehend“ – ein euphemistischer Hinweis darauf, dass Planbarkeit nur begrenzt existiert.

Der Umbau zum grünen Stahl ist wirtschaftlich zwingend – aber teuer
Thyssenkrupp muss die Stahlproduktion transformieren, wenn das Unternehmen langfristig überleben soll. Die CO₂-Intensität konventioneller Hochöfen ist nicht mehr tragbar – regulatorisch, politisch und zunehmend auch finanziell. Jindal sieht genau darin die strategische Chance: Wer früh auf klimafreundliche Prozesse umstellt, sichert sich eine Marktposition in einem Segment, das bald knapp werden dürfte.
Doch die Rechnung geht nur auf, wenn Fördergelder fließen. Ohne Anschubfinanzierung wäre die Umrüstung ein massiver Kapitalakt, der erst in Jahren greift. Jindal versucht daher, die Logik umzudrehen: Statt Investitionen zu scheuen, will das Unternehmen sie beschleunigen – in der Erwartung, dass die Politik den Strukturwandel absichert.
IG Metall und Politik bestimmen den Takt der Verhandlungen
Parallel dazu wächst der Druck aus der Arbeitnehmerseite. Die IG Metall hat Bedingungen formuliert, die im Kern Beschäftigungssicherung und industrielle Substanz schützen sollen. Für einen Käufer wie Jindal bedeutet das zusätzliche Verpflichtungen, die das Kostenprofil weiter erhöhen.
Ohne politische Rückendeckung würde dieses Paket potenzielle Investoren abschrecken. Genau deshalb betont Jindal die Bedeutung der Förderinstrumente: Sie sollen nicht nur die Transformation finanzierbar machen, sondern auch soziale und tarifliche Verpflichtungen aufrechterhalten. Das ist die Voraussetzung, damit aus einem Angebot ein verbindlicher Vertrag werden kann.
Jindal testet ein Geschäftsmodell, das Europa politisch gewollt hat
Jindal ist kein beliebiger Investor, der auf Schnäppchenjagd geht. Die Familie Jindal verfügt über Erfahrung mit Minen, Werken und Turnarounds in Schwellenländern – und sie hat in Europa bereits zugegriffen, zuletzt in Tschechien. Das Interesse an TKSE zeigt, dass das Segment „grüner Stahl“ internationale Investoren anzieht, obwohl die Margen noch unklar sind.
Im Kern prüft Jindal, ob das europäische Versprechen aufgeht: emissionsarmer Stahl als politisch gefördertes, marktfähiges Produkt. Wenn die Gleichung stimmt, kann Duisburg für den Konzern zum strategischen Vorposten werden. Wenn nicht, bleibt TKSE ein industrielles Risiko, das nur mit hohen Zuschüssen stabilisierbar ist.
Für Thyssenkrupp ist es eine seltene Chance – und ein ebenso großes Risiko
Die Konzernführung sucht seit Jahren nach einem Ausweg aus der defizitären Stahlsparte. Jindal bietet erstmals die Aussicht auf industrielle Kompetenz und Kapital. Doch je deutlicher wird, wie stark das Modell von Subventionen abhängt, desto größer die Unsicherheit: Ob Europa dauerhaft bereit ist, Milliarden in diese Branche zu lenken, ist politisch umkämpft.
Für Duisburg gilt damit ein paradoxes Szenario: Die Zukunft des Werks hängt weniger von Stahlpreisen oder Produktivität ab, sondern von politischen Entscheidungen. Genau das macht den Prozess so fragil – und für alle Beteiligten so entscheidend.


