Die Märkte unterschätzen Japans Sprengkraft
Die Aufmerksamkeit der Investoren kreist um die USA und die Furcht vor einer KI-Blase. Doch in Japan hat sich eine gefährliche Mischung aufgebaut, die kaum beachtet wird. Der gleichzeitige Verfall des Yen und der Druck auf die Staatsanleihen erinnern erfahrene Marktbeobachter an eine Krise, die Europa erst vor wenigen Jahren erschüttert hat.
George Saravelos, Chef-Devisenanalyst der Deutschen Bank, erkennt Parallelen zur britischen Finanzkrise 2022. Damals geriet das Pfund unter massiven Druck, weil politische Experimente ohne solide Finanzierung das Vertrauen der Märkte binnen Tagen zerstörten. Die Renditen britischer Staatsanleihen schossen nach oben, der Markt stand kurz vor dem Kontrollverlust.
Die Regierung setzt auf riskante Konjunkturpolitik
Die Parallele, die Saravelos zieht, ist keine stilistische Zuspitzung. Japans Premierministerin Sanae Takaichi hat ein Konjunkturpaket über 21,3 Billionen Yen beschlossen – rund 117 Milliarden Euro –, obwohl der Staatshaushalt bereits unter Spannung steht. Die Reaktion der Märkte kam prompt: Die Renditen stiegen auf mehrjährige Höchststände, der Yen fiel auf den tiefsten Wert seit Januar.

Politisch erinnert das Vorgehen an die Abenomics des früheren Premierministers Shinzō Abe: mehr Ausgaben, lockerere Geldpolitik, höhere nominale Wachstumsziele. Doch das Umfeld hat sich verändert. Japan kämpft nicht mehr gegen Deflation, sondern gegen eine anhaltend hohe Inflation.
Analysten warnen vor Vertrauensverlust
Die Warnung dahinter ist tiefgreifend. Das japanische Finanzsystem ruht auf der Bereitschaft heimischer Investoren, große Mengen an Staatsanleihen zu halten – meist aus Stabilitätsgründen, nicht wegen attraktiver Renditen. Wenn dieses Vertrauen erodiert, droht ein Dominoeffekt.
Saravelos fürchtet, dass Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bank of Japan den Abwärtstrend verstärken könnten. Ohne Vertrauen in das Inflationsziel gibt es keinen Grund mehr, jene Anleihen zu halten, die kaum Erträge bringen. Kapital würde ins Ausland abwandern – ein Szenario, das die Refinanzierung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gefährlich erschüttern könnte.
Auch Albert Edwards von der Société Générale spricht von einem „Warnsignal, das kaum jemand beachtet“. Die steigenden langfristigen Renditen seien Ausdruck wachsender Skepsis gegenüber der wirtschaftspolitischen Linie.
Inflationsdruck trifft auf widersprüchliche Impulse
Während die Regierung versucht, das Wachstum anzukurbeln, sehen Marktstrategen ein grundlegendes Fehlverständnis der aktuellen Lage. Die japanische Teuerung liegt seit drei Jahren über dem Zielwert der Notenbank. Eine weitere fiskalische Expansion könnte den Yen zusätzlich schwächen und die importierte Inflation verstärken.
Ein schwächerer Yen verteuert Energie und Rohstoffe, die Preissteigerungen ziehen sich durch die Wirtschaft – und setzen die Notenbank unter Zugzwang. Hebt sie die Zinsen entschiedener an, geraten die Anleihemärkte weiter unter Druck. Es entsteht ein politisch wie wirtschaftlich heikles Gleichgewicht.

Investoren mögen Japan – und genau das verstärkt das Risiko
Ironischerweise zählt Japan weiterhin zu den Favoriten vieler globaler Strategiehäuser. JP Morgan erwartet langfristige Aktienrenditen von über acht Prozent jährlich. Dieses Grundvertrauen kann trügerisch sein: Beliebte Märkte werden oft zu spät kritisch geprüft.
Saravelos warnt, dass ein Übergreifen der Anleihe- und Währungsbewegungen auf den Aktienmarkt ein „verräterisches Zeichen“ wäre. Erste Hinweise gibt es bereits: Der Nikkei 225 verlor binnen sechs Handelstagen rund fünf Prozent.
Die kommenden Wochen werden zum Stresstest
Das Zusammenspiel aus expansiver Fiskalpolitik, hartnäckiger Inflation und sinkendem Vertrauen in politische Stabilität macht Japan zu einem unterschätzten Risikofaktor. Sollte sich die Lage zuspitzen, hätte das globale Auswirkungen – nicht nur auf Anleihen und Währungen, sondern auch auf die Risikobereitschaft der großen Fonds.



