Die Bank of Japan bricht weiter mit ihrer eigenen Geschichte. Mit der Anhebung des Leitzinses von 0,5 auf 0,75 Prozent erreicht das Zinsniveau den höchsten Stand seit rund 30 Jahren. Während andere große Notenbanken bereits über Zinssenkungen sprechen oder diese umsetzen, geht Japan den entgegengesetzten Weg – und verschärft damit die globale geldpolitische Divergenz.
Der Schritt ist kein technischer Anpassungsschritt, sondern ein bewusstes Signal. Gouverneur Kazuo Ueda nimmt wirtschaftliche Risiken in Kauf, um ein Problem zu adressieren, das Tokio zunehmend die Kontrolle zu entgleiten droht: Inflation in Kombination mit einer strukturell schwachen Währung.
Inflation bleibt hartnäckiger als erhofft
Japans Inflationsproblem ist längst kein kurzfristiger Importeffekt mehr. Seit fast vier Jahren liegt die Teuerung über dem Zielwert von zwei Prozent. Besonders stark trifft es die Verbraucherpreise für Lebensmittel. Mehr als 20.000 Produkte wurden 2025 teurer, ein Anstieg von fast 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Der schwache Yen wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Importierte Inflation trifft Haushalte direkt und zwingt Unternehmen, steigende Kosten weiterzugeben. Für die Notenbank ist das gefährlich: Ohne geldpolitische Gegenwehr droht sich die Inflation zu verfestigen – ein Szenario, das Japan nach Jahrzehnten der Deflation unbedingt vermeiden will.

Der Yen wird zum zentralen Risiko
Die Zinserhöhung ist auch eine Währungsentscheidung. Der Yen steht unter massivem Druck, nicht zuletzt wegen der Zinsdifferenz zu den USA. Während der Dollar hohe Renditen bietet, verliert Japans Währung an Attraktivität.
Finanzministerin Satsuki Katayama machte deutlich, dass Regierung und Notenbank an einem Strang ziehen. Höhere Zinsen werden politisch toleriert, um den Yen zu stabilisieren. Notfalls, so das unausgesprochene Signal, ist Tokio auch bereit, erneut am Devisenmarkt einzugreifen.
Doch der Spielraum ist begrenzt. Solange andere Notenbanken lockern oder stabil bleiben, wird jeder Zinsschritt in Japan nur begrenzte Wirkung entfalten.
Robuster Arbeitsmarkt trifft schwache Industrie
Die Datenlage liefert widersprüchliche Signale. Auf der einen Seite zeigt sich der Arbeitsmarkt erstaunlich stabil. Unternehmen planen für 2026 kräftige Lohnerhöhungen, getrieben von strukturellem Arbeitskräftemangel. Genau diese Lohn-Preis-Dynamik hatte die Bank of Japan jahrelang herbeigesehnt, um Zinserhöhungen zu rechtfertigen.
Auf der anderen Seite schwächelt die Industrie. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe schrumpft seit sechs Monaten in Folge. Der Einkaufsmanagerindex bleibt unter der Wachstumsschwelle, auch wenn sich zuletzt eine leichte Stabilisierung andeutete.
Der Dienstleistungssektor wächst noch, verliert aber an Dynamik. Gleichzeitig steigen Verkaufspreise so schnell wie seit Monaten nicht mehr. Für Verbraucher bedeutet das sinkende reale Kaufkraft – ein politisch heikler Punkt.
Globale Unsicherheit verschärft das Dilemma
Die geldpolitische Entscheidung fällt in einer Phase zunehmender geopolitischer Unsicherheit. Die protektionistische Handelspolitik der USA unter Präsident Donald Trump wirft lange Schatten voraus. Japanische Unternehmen rechnen mit höheren US-Zöllen, was die Exportaussichten belastet.
Zwar zeigen Umfragen kurzfristig noch robuste Geschäftserwartungen, doch der Blick nach vorn trübt sich ein. Die Bank of Japan muss also nicht nur Inflation und Währung im Blick behalten, sondern auch externe Schocks einkalkulieren.
Zinsdifferenzen werden zum Dauerproblem
Während Japan die Zinsen anhebt, gehen andere Notenbanken in die Gegenrichtung. Die Bank of England steht vor einer möglichen Zinssenkung, die EZB diskutiert für 2026 sogar wieder Lockerungen. Diese Divergenz stärkt den Dollar und belastet den Yen weiter.
Für Tokio entsteht daraus ein strukturelles Problem: Jeder Zinsschritt hilft zwar der Glaubwürdigkeit, verschärft aber zugleich die Belastung für Wirtschaft und Staatsfinanzen. Japans Schuldenquote ist hoch, steigende Refinanzierungskosten sind politisch sensibel.
Der Pfad nach oben bleibt vorsichtig
Die Zinserhöhung markiert keinen aggressiven Kurswechsel, sondern einen kontrollierten Aufstieg. Die Bank of Japan schätzt den neutralen Zinssatz auf ein Niveau zwischen ein und 2,5 Prozent. Rein rechnerisch ist also noch Spielraum vorhanden.
Doch jeder weitere Schritt erhöht das Risiko von Nebenwirkungen. Höhere Kreditkosten könnten Investitionen bremsen, Unternehmen belasten und den ohnehin fragilen Aufschwung gefährden. Genau deshalb wird Uedas Tonlage auf der Pressekonferenz entscheidend sein.
Märkte schauen auf die Signale, nicht auf den Schritt
Die Zinserhöhung selbst ist weitgehend eingepreist. Entscheidend ist, was danach kommt. Bleibt die Bank of Japan bei kleinen, vorsichtigen Schritten? Oder signalisiert sie eine längere Straffungsphase?
Ökonomen rechnen eher mit Zurückhaltung. Der Yen dürfte kurzfristig kaum profitieren, zu groß sind die strukturellen Zweifel an Japans fiskalischer Tragfähigkeit und am globalen Umfeld.
Ein riskanter Schritt ohne gute Alternativen
Die Bank of Japan sitzt in der Zwickmühle. Zu zögerliches Handeln würde Inflation und Yen-Verfall weiter anheizen. Zu schnelles Straffen könnte die Konjunktur abwürgen. Der aktuelle Zinsschritt ist deshalb weniger Ausdruck von Stärke als von fehlenden Alternativen.
Japans Rückkehr zur geldpolitischen Normalität ist kein geradliniger Prozess. Sie verläuft tastend, unter Unsicherheit – und mit erheblichen Risiken für Märkte weltweit.


