Eine Stimme aus Tokio
„Ich habe früher LDP gewählt, weil es keine echte Alternative gab. Aber sie hören uns schon lange nicht mehr“, sagt Herr Takahashi, ein 59-jähriger Kleinunternehmer aus Saitama.
In seiner kleinen Werkstatt für Metallteile sieht er die Preise steigen, während seine Aufträge schrumpfen.
„Kamiya spricht wenigstens das aus, was viele denken: Wir müssen zuerst an Japan denken.“
Sein Satz steht stellvertretend für einen Stimmungswandel, der die politische Landschaft des Landes aufrüttelt.

Der Aufstieg eines Außenseiters
Sohei Kamiya, 47 Jahre alt, war einst Reservist der Selbstverteidigungsstreitkräfte. Politisch begann er am Rand der Gesellschaft – mit YouTube-Videos über alternative Medizin und impfkritische Botschaften. 2020 gründete er die Partei Sanseito („Mach es selbst“). Binnen weniger Jahre wuchs daraus eine Bewegung mit mehr als 70.000 Mitgliedern.
Bei den Oberhauswahlen im Juli erzielte Sanseito rund zwölf Prozent der Stimmen und 14 Sitze – ein Durchbruch für eine Partei, die noch vor kurzem als Randerscheinung galt.

Folgen für die Regierung
Der Erfolg Kamiyas beschleunigte das Ende von Premierminister Shigeru Ishiba. Seine Koalition aus LDP und Komeito verlor im Oberhaus die Mehrheit, nachdem sie bereits im Unterhaus geschwächt war. Nach nur einem Jahr im Amt trat Ishiba zurück – ein Symptom für die Krise der politischen Mitte.
Noch vor zwölf Jahren kontrollierten die großen Parteien fast 80 Prozent der Parlamentssitze. Heute ist dieser Anteil deutlich geschrumpft. Das Vakuum füllt Sanseito.

Einfache Antworten auf komplizierte Fragen
„Wenn wir uns nicht gegen den Druck von außen wehren, wird Japan eine Kolonie!“, ruft Kamiya auf Wahlveranstaltungen ins Mikrofon. Seine Parolen – Grenzen dicht, Tradition stärken, Steuern senken – erinnern an Donald Trump. Ideologisch orientiert sich die Bewegung an Europas Rechtsparteien, auch Kontakte zur deutschen AfD gibt es bereits.
Seine Botschaften treffen auf einen Nährboden aus Unsicherheit: eine alternde Gesellschaft, ein schwacher Yen, steigende Preise und die Strafzölle, die US-Präsident Donald Trump Tokio auferlegt hat. Dazu die Debatte über Einwanderung, die in Japan seit Jahrzehnten emotional geführt wird.
„Japan First“ in der Praxis
Kamiya betont, man dürfe sich nicht auf ausländische Arbeitskräfte verlassen: „Wer kommt, soll nach einer gewissen Zeit wieder gehen.“ Auch vor einem „kolonisierenden China“ warnt er und verweist auf Grundstückskäufe chinesischer Investoren.
Gleichzeitig verspricht er seinen Anhängern Selbstbestimmung und Würde: weniger Abhängigkeit vom Ausland, mehr Wertschätzung für traditionelle Strukturen. Für Menschen wie Herrn Takahashi klingt das nach Hoffnung in unsicheren Zeiten.
Grenzen der Bewegung
Doch trotz der Wahlerfolge bleibt Sanseito eine kleine Partei: drei Sitze im Unterhaus, 14 im Oberhaus. Gesetzesinitiativen kann sie nicht allein einbringen. Ihr Einfluss beruht weniger auf parlamentarischer Macht als auf digitaler Reichweite und öffentlicher Provokation.
Beobachter erinnern daran, dass rechtspopulistische Parteien in Japan selten dauerhaft erfolgreich waren. Die Geschichte spricht gegen einen langfristigen Durchmarsch. Doch die Verschiebung im Diskurs ist unübersehbar.
Politische Verschiebung statt Randphänomen
Ishibas Rücktritt zeigt: Sanseito ist nicht bloß ein Nebengeräusch, sondern Teil einer tektonischen Verschiebung. Die Partei zwingt die etablierten Kräfte, sich neu zu positionieren.
Herr Takahashi formuliert es so: „Vielleicht löst Kamiya nicht alle Probleme. Aber endlich habe ich das Gefühl, dass einer zuhört.“
Das mag ein Einzelschicksal sein – doch es erklärt, warum Japan First längst mehr ist als nur ein Slogan.
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