Eine Entscheidung mit politischer Sprengkraft
Fast drei Jahre nach den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines kommt Bewegung in den Fall, der Europa seither beschäftigt. Ein italienisches Berufungsgericht hat die Auslieferung des 45-jährigen Ukrainers Serhij K. an die deutschen Behörden bewilligt. Er gilt als einer der Hauptverdächtigen bei der Zerstörung der deutsch-russischen Gasverbindungen Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee – einer der spektakulärsten Sabotageakte der Nachkriegsgeschichte.
K. soll laut Bundesanwaltschaft Karlsruhe im September 2022 auf dem Charter-Schiff Andromeda unterwegs gewesen sein, von dem aus Taucher Sprengladungen an den Pipelines angebracht haben sollen. Vier Explosionen, vier Lecks – und ein geopolitisches Erdbeben.
Italien stand lange auf der Bremse
Die Auslieferung war monatelang blockiert. Das italienische Berufungsgericht in Rom hatte zunächst Verfahrensmängel geltend gemacht und das deutsche Ersuchen gestoppt. Die Begründung: Die Ermittler in Italien hätten den Fall unter Terrorismusverdacht geführt – ein anderer Tatbestand als der der deutschen Anklage, die auf verfassungsfeindliche Sabotage lautet.
Erst nach juristischen Nachbesserungen und diplomatischem Druck kam nun die Wende. Der Anwalt des Verdächtigen bestätigte, dass sein Mandant an Deutschland überstellt wird – unter der Zusicherung eines fairen Verfahrens.

Die Spur der „Andromeda“
Im Zentrum der Ermittlungen steht die Andromeda, eine 15 Meter lange Segeljacht, die im September 2022 von Rostock aus in See gestochen war. Laut Spurenlage wurden von Bord aus Sprengsätze in rund 80 Metern Tiefe an den Pipelines angebracht. Die Crew – mutmaßlich ukrainischer Herkunft – hatte gefälschte Pässe genutzt. Auf der Jacht fanden Ermittler Sprengstoffreste vom Typ HMX, einem militärischen Hochleistungsexplosivstoff.
K. soll bei der Organisation der Operation eine Schlüsselrolle gespielt haben – als Verbindungsmann zwischen Auftraggebern und Tauchern. Die Ermittlungen deuten auf ein professionell geplantes Kommando hin, das präzise wusste, wo und wann es zuschlagen musste.
Streit zwischen Kiew, Moskau und Berlin
Offiziell weist die ukrainische Regierung jede Beteiligung zurück. Doch westliche Geheimdienstkreise sehen die Hinweise zunehmend in Richtung pro-ukrainischer Akteure, die unabhängig vom Staat gehandelt haben sollen. Russland hingegen nutzt die Sabotage bis heute propagandistisch: Der Kreml spricht von einem „Terrorakt gegen russische Infrastruktur“ und wirft dem Westen Vertuschung vor.
Die Bundesregierung hält sich betont zurück. Das Auswärtige Amt verweist auf laufende Ermittlungen der Bundesanwaltschaft – ein diplomatisches Minenfeld, schließlich waren die Pipelines ein zentrales Symbol deutsch-russischer Energieverflechtung.
Ein Verfahren mit Symbolwert
Mit der Auslieferung von Serhij K. beginnt ein neues Kapitel in der Nord-Stream-Affäre. Zum ersten Mal wird ein mutmaßlicher Beteiligter in Deutschland vor Gericht stehen – und damit könnte sich entscheiden, ob der Anschlag jemals vollständig aufgeklärt wird.
Juristen rechnen mit einem komplexen Indizienprozess, in dem internationale Rechtsfragen, politische Interessen und geheimdienstliche Erkenntnisse aufeinandertreffen. Sollte K. tatsächlich aussagen – und glaubwürdig sein –, könnten die bisherigen Theorien über Hintermänner und Motive ins Wanken geraten.
Doch ebenso wahrscheinlich ist: Der Fall Nord Stream bleibt ein politisches Mysterium, das selbst vor Gericht keine eindeutigen Antworten liefert.
Der harte Schluss
Was als spektakulärer Sabotageakt begann, ist längst zu einem Lackmustest europäischer Rechtsstaatlichkeit geworden. Wenn Serhij K. in Deutschland ankommt, steht mehr auf dem Spiel als die Frage nach Schuld oder Unschuld – es geht um Vertrauen, Aufklärung und politische Glaubwürdigkeit.
Der Druck auf Berlin wächst – und die ganze Welt schaut zu.

 
                