09. Juni, 2025

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Industrieller Stellenabbau in Deutschland erreicht neue Dimension

Industrieller Stellenabbau in Deutschland erreicht neue Dimension Laut aktueller Analyse sind innerhalb eines Jahres 101.000 Industriearbeitsplätze weggefallen – insbesondere die Autoindustrie verzeichnet massive Verluste. Weitere Kürzungen könnten folgen.

Industrieller Stellenabbau in Deutschland erreicht neue Dimension
Während in der Chemie kaum Jobs abgebaut wurden, verzeichnen Textil- und Metallbranche Rückgänge von über vier Prozent – strukturelle Probleme treffen nicht alle gleich.

Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Industrie ist binnen eines Jahres um 101.000 zurückgegangen. Dies entspricht einem Rückgang von rund 1,8 Prozent, wie aus einer Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervorgeht.

Die Zahlen basieren auf Daten des Statistischen Bundesamts. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie: Hier fielen netto 45.400 Arbeitsplätze weg – ein Rückgang um knapp 6 Prozent.

Rückgang in mehreren Branchen

Zum Ende des ersten Quartals 2025 waren in der deutschen Industrie noch rund 5,46 Millionen Menschen beschäftigt. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lag die Zahl bei 5,68 Millionen.

Das entspricht einem Rückgang von 217.000 Stellen oder 3,8 Prozent seit Beginn der Corona-Pandemie. In der Metallerzeugung sowie in der Textilindustrie lag der Rückgang bei jeweils über vier Prozent. Die Chemie- und Pharmabranche verzeichnete hingegen mit -0,3 Prozent einen nahezu stabilen Personalstand.

Absatzflaute, Energiekosten, internationale Konkurrenz

Laut EY stehen viele Industrieunternehmen unter hohem Druck. Ursachen sind unter anderem die schwache Nachfrage in Europa, eine stagnierende Binnennachfrage, hohe Energie- und Personalkosten sowie die wachsende Konkurrenz aus China.

Die Autoindustrie ist zudem mit dem strukturellen Wandel hin zur Elektromobilität konfrontiert, was sich zusätzlich auf die Personalstruktur auswirkt.

Rund 45.400 Stellen fielen allein in der deutschen Autoindustrie weg – das entspricht einem Rückgang von knapp sechs Prozent innerhalb eines Jahres.

Prognose: Weitere 70.000 Stellen könnten wegfallen

Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY, rechnet damit, dass bis Jahresende weitere 70.000 Industriearbeitsplätze verloren gehen. "Wir werden vorerst noch viele schlechte Nachrichten hören, bevor es wieder aufwärtsgeht", so Brorhilker. Vor allem Maschinenbauunternehmen und Automobilhersteller haben demnach bereits Sparprogramme gestartet.

Diskussion um Standortpolitik und US-Zölle

Die Entwicklung hat auch politische Konsequenzen: Bundeskanzler Friedrich Merz brachte zuletzt eine sogenannte Offset-Regel ins Spiel. Diese könnte verhindern, dass deutsche Autoexporte in die USA mit Zöllen belegt werden.

Die Idee: US-Unternehmen würden im Gegenzug Investitionsmöglichkeiten in Deutschland erhalten. Kritiker sehen darin jedoch keine langfristige Lösung für die strukturellen Probleme des Standorts.

Langfristiger Vergleich zeigt differenziertes Bild

Trotz der jünsten Zahlen ist die Industrie beschäftigungsmäßig nicht auf dem tiefsten Stand der letzten Dekade.

Im Vergleich zu 2014 liegt die Zahl der Industriearbeitsplätze laut Statistischem Bundesamt noch um rund 3,5 Prozent oder 185.000 höher. Der historische Höchststand wurde allerdings 2018 mit etwa 5,7 Millionen Industriearbeitsplätzen erreicht.

Industrieverbände fordern Strukturreformen

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) fordert angesichts der Entwicklung mehr politische Initiative. VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärt: "Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität müssen das Leitmotiv der Regierungspolitik sein."

Ohne klare Verbesserungen bei Energiekosten, Bürokratie und Steuerlast drohten weitere Produktionsverlagerungen ins Ausland.

Maßnahmen der Bundesregierung

Das milliardenschwere Investitionspaket der Bundesregierung soll nach Einschätzung von EY zumindest kurzfristige Impulse setzen.

Dennoch sei es laut Brorhilker wichtig, strukturelle Probleme anzugehen. Dazu zählen auch beschleunigte Genehmigungsverfahren und eine gezielte Förderung der inländischen Nachfrage.

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