Rekordzahl mit bitterem Beigeschmack
1.401.250 – so viele Rentnerinnen und Rentner in Deutschland standen zum Jahresende 2023 trotz Ruhestand noch in Lohn und Brot.
Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Politikers Dietmar Bartsch hervor. Fast 375.000 von ihnen sind nicht nur geringfügig beschäftigt, sondern gehen einer regulären, sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach.
Ein neuer Höchstwert. Und einer, der nachdenklich macht.
Arbeiten, weil’s nicht anders geht
Bartsch nennt es ein „Armutszeugnis“ – und trifft damit den Nerv. Denn das Problem ist kein individuelles. Es ist strukturell. „Die gesetzliche Rente reicht für viele schlicht nicht mehr zum Leben“, sagt der Fraktionschef der Linken. Und die Zahlen geben ihm recht.
Rund jeder fünfte Rentner, der heute noch arbeitet, tut das nicht, um aktiv zu bleiben oder ein Hobby zu finanzieren – sondern, um die Miete zahlen zu können. Um sich den Kühlschrank füllen zu können. Um nicht auf Hilfe angewiesen zu sein.
Wirtschaftsstark, Rentenschwach
Deutschland ist wirtschaftlich stark. Das Rentenniveau ist es nicht. Während Länder wie Österreich, die Niederlande oder Dänemark ihren Ruheständlern über 80 Prozent des vorherigen Einkommens sichern, liegt Deutschland unter 50 Prozent. Wer in Vollzeit arbeitet und in Rente geht, verliert im Schnitt mehr als die Hälfte seines bisherigen Einkommens.

Und das, obwohl hierzulande über Jahrzehnte in die Rentenkasse eingezahlt wird – von Millionen Menschen, die ihr ganzes Leben lang arbeiten. Das Ergebnis: Viele müssen im Alter noch putzen, kassieren, ausliefern. Nicht aus Überzeugung. Aus Zwang.
Eine Systemfrage, keine Schicksalsfrage
„Es ist kein Wunder, dass immer mehr Ältere weiterarbeiten – vielfach nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen“, sagt Bartsch. Er fordert eine Rentenreform nach österreichischem Vorbild: eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen – auch Beamte, Politiker, Selbstständige.
Dort funktioniert es. Hierzulande bleibt es bei Debatten.
Und die Regierung? Schweigt
Besonders deutlich wird Bartsch bei der Kritik an Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas. Sie habe sich zu dem Thema „offenbar wieder verstummt“, so Bartsch. Dabei dränge die Zeit. Denn die Entwicklung zeigt eine klare Richtung – und keine Besserung.
Was fehlt, sei nicht der Erkenntnisstand, sondern der politische Wille.
Wenn die Gesellschaft kippt
Dass Menschen im Alter noch arbeiten, ist nicht per se ein Problem. Es wird dann eines, wenn sie es nicht aus freiem Willen tun, sondern aus Mangel. Wenn der Begriff „Ruhestand“ zur Ironie wird. Wenn Menschen mit über 70 noch Taxi fahren müssen, weil die Rente nicht für Heizkosten und Lebensmittel reicht.
Das ist kein Einzelphänomen. Es ist ein stilles Alarmsignal, das lauter wird.
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