Kampf um 2.700 Arbeitsplätze
Die Nachricht traf Eisenhüttenstadt mitten ins industrielle Herz: ArcelorMittal, der größte Stahlkonzern der Welt, hat seine Pläne zur Umstellung auf klimaneutrale Produktion gestoppt – und damit auch die Zukunft seines Werks in Brandenburg in Frage gestellt. Für die 2.700 Beschäftigten bedeutet das nichts Geringeres als die drohende Abwicklung einer jahrzehntelangen Industriegeschichte.
Doch die IG Metall will sich nicht mit dem schleichenden Niedergang abfinden. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Werk Bestand hat“, sagt Bezirksleiter Jan Otto. „Es gibt viele gute Gründe dafür – und genauso viele Ideen.“ Für Otto ist die vergleichsweise überschaubare Mitarbeiterzahl kein Nachteil, sondern ein Argument: „Wir müssen nicht 20.000 Arbeitsplätze sichern, sondern eine Zahl, die für die Region von enormer Bedeutung ist.“
Die Botschaft: Noch ist nichts entschieden. „Die letzte Messe ist hier noch nicht gesungen“, so Otto.
Klimawende verschoben – nicht aufgehoben?
Im Juni hatte ArcelorMittal Europe angekündigt, seine Pläne für den klimaneutralen Umbau der Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt vorerst nicht weiterzuverfolgen. Offiziell heißt es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien zu unsicher – hinter den Kulissen dürfte aber auch die schleppende politische Unterstützung für grüne Industrieprojekte eine Rolle spielen.

Für Eisenhüttenstadt ist das ein Rückschlag. Jahrzehntelang galt die Stadt als Symbol für industrielle Stärke im Osten, heute steht sie sinnbildlich für die Frage, wie Deutschland seine Grundstoffindustrie in eine CO₂-neutrale Zukunft führen will. Die IG Metall fordert deshalb eine stärkere Beteiligung des Bundes – nicht nur mit Fördergeldern, sondern auch mit verbindlichen industriepolitischen Strategien.
Hoffnungsträger Ludwigsfelde
Während in Eisenhüttenstadt das Überleben auf der Kippe steht, richtet sich der Blick der Gewerkschaft auch auf ein zweites Sorgenkind: das Mercedes-Werk in Ludwigsfelde. Dort wird der Transporter „Sprinter“ produziert, doch der Konzern denkt laut über eine Neuordnung seiner Fertigungsstandorte nach. Offiziell sind keine Schließungen geplant, doch die Unsicherheit bei Beschäftigten und Politik ist spürbar.
„Ich glaube, dass da was geht“, sagt Otto optimistisch. Die IG Metall will noch in diesem Jahr Gespräche mit der Konzernführung aufnehmen. Ziel sei es, eine Perspektive über das Jahr 2030 hinaus zu schaffen.

Erste Signale gibt es bereits: In Ludwigsfelde wurde eine sogenannte Anlauffabrik aufgebaut – eine Art Entwicklungszentrum für Prototypen und neue Fahrzeugkonzepte auf Basis der Elektroplattform „Van Electric Architecture“. Für die Gewerkschaft ist das ein Hinweis darauf, dass Mercedes die Standortkompetenz erhalten will – wenn auch in anderer Form.
Symbolpolitik oder Strukturpolitik?
Die Debatten um Eisenhüttenstadt und Ludwigsfelde sind mehr als nur zwei Standortfragen – sie stehen exemplarisch für eine zentrale Herausforderung der deutschen Industriepolitik. Der Umbau zu einer klimaneutralen und wettbewerbsfähigen Industrie verlangt massive Investitionen, klare Rahmenbedingungen und eine koordinierte Strategie zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Politik.
Zugleich geht es um gesellschaftliche Stabilität. 2.700 Arbeitsplätze mögen auf dem Papier überschaubar wirken, für eine ganze Region können sie jedoch über wirtschaftliche Perspektive oder strukturellen Abstieg entscheiden. Besonders in Ostdeutschland, wo viele Städte ohnehin mit Abwanderung und Investitionsmangel kämpfen, kann jede Werksschließung eine Kettenreaktion auslösen.
Ein Testfall für die Industriepolitik
Ob ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt und Mercedes in Ludwigsfelde bleiben, wird weit mehr entscheiden als nur über die Zukunft zweier Fabriken. Es geht um das Vertrauen in den Standort Deutschland – und darum, ob die Transformation der Industrie gelingt, ohne ganze Regionen zurückzulassen.
Die Gewerkschaft hat ihre Position klar gemacht: Aufgeben ist keine Option. Jetzt liegt es an Politik und Konzernen, ob sie diesen Kampf mittragen – oder ob Eisenhüttenstadt und Ludwigsfelde zu Symbolen einer verfehlten Industriepolitik werden.
