Als die schwarz-rote Bundesregierung 2015 den gesetzlichen Mindestlohn einführte, waren die Rufe schrill: Von einer Million Jobs war die Rede, die verloren gehen würden.
Tatsächlich kam es anders. Deutschland blieb stabil, die Arbeitslosenzahlen sanken, und viele Kritiker von damals gelten heute als Mahner mit wenig Fortune.
Doch nun, zehn Jahre später, könnte sich die Debatte wieder zuspitzen. Die Mindestlohnkommission muss bis Ende Juni entscheiden, wie stark die Lohnuntergrenze von derzeit 12,82 Euro steigen soll.
Die SPD will auf 15 Euro, am liebsten schon 2026. Eine Erhöhung um satte 17 Prozent – mit unabsehbaren Folgen für Arbeitsplätze, Betriebe und ganze Branchen.
Wirtschaft am Kipppunkt
Anders als 2015 ist die konjunkturelle Lage diesmal angespannt. Seit drei Jahren schrumpft die Wirtschaftsleistung oder tritt bestenfalls auf der Stelle. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit, die Bundesagentur für Arbeit meldet so viele offene Stellen wie seit Jahren nicht mehr – doch die Unternehmen stellen zögerlich ein.
„Die aktuelle Lage stellt sich grundlegend anders dar als bei der Einführung des Mindestlohns“, sagt der renommierte Arbeitsökonom Christian Dustmann.
Er war einer der Forscher, die damals zeigen konnten: Ja, kleinere, unproduktive Betriebe verschwanden – aber die Menschen fanden meist wieder Arbeit. Das ist heute fraglich.
Risiko für Mittelstand und Saisonarbeit
Der Widerstand gegen die 15 Euro kommt nicht nur von Arbeitgeberverbänden. Besonders laut werden Einzelhändler und Landwirte.
Der Bauernverband fordert gar, dass Saisonarbeiter unter dem Mindestlohn bezahlt werden dürfen – andernfalls sei der Obstanbau vielerorts nicht mehr rentabel. Agrarminister Alois Rainer (CSU) prüft bereits Sonderregelungen.

Die Einzelhändler wiederum fordern eine Nullrunde. Zu groß seien die Belastungen durch Inflation, Energiekosten und sinkende Konsumlaune. Sie fürchten, dass mit einer Mindestlohnerhöhung weitere Filialen schließen müssten.
SPD zwischen Ideal und Realität
Für die SPD ist der Mindestlohn ein Prestigeprojekt. Bereits 2022 hob sie ihn per Gesetz auf 12 Euro an – unter Umgehung der eigentlich unabhängigen Kommission. Damals war die wirtschaftliche Erholung nach Corona gerade angelaufen. Heute ist von Aufschwung keine Spur mehr.
Trotzdem hält die SPD an ihrem Kurs fest. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert für 2026 sogar einen Mindestlohn von 15,27 Euro. Die politische Symbolik ist klar: Wer für Leistung steht, soll davon leben können.
Warnung vor Mindestlohn-Bieterwettbewerb
Marcel Thum vom ifo-Institut in Dresden warnt: "Man hat sich sehr rasch von dem Modell verabschiedet, die Mindestlohnerhöhungen durch ein neutrales Gremium beraten zu lassen. Jetzt ist es ein politischer Bieterwettbewerb geworden."
Die Gefahr sieht er vor allem in der Entkopplung vom Produktivitätswachstum. "Wenn der Mindestlohn zu schnell steigt, trifft das Regionen und Branchen, in denen keine Marktmacht der Arbeitgeber mehr herrscht, sondern in denen die Lohnhöhe über die Frage entscheidet, ob ein Betrieb überhaupt noch Mitarbeiter halten kann."
Lohn oder Leistung?
Noch 2010 warnte Roland Koch vor Mindestlöhnen, die über der Produktivität vieler einfacher Tätigkeiten liegen. "Wir können doch nicht alle, die einen Stundenlohn von 7,50 Euro nicht erwirtschaften, in die Arbeitslosigkeit schicken." Heute wäre diese Marke 15 Euro.
Eine gewagte Schwelle für Jobs im Niedriglohnbereich, Reinigung, Pflege oder Gastronomie.
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