Aufprall nach der Pandemie-Party
Hermes war einmal das flotte Werbeversprechen der E-Commerce-Ära: bestellen, am nächsten Tag liefern. Jetzt steht der Paketdienst vor einer harten Landung. Die Bestelllaune der Kunden ist verflogen, die Kosten sind gestiegen – und ausgerechnet der Digitalisierungsvorsprung der Konkurrenz legt die Schwächen der Otto-Tochter schonungslos frei.
Ergebnis: mindestens 700 Stellen fallen weg, Zustellleistungen wandern zu Subunternehmern, das eigene Zustellnetz wird ausgedünnt.
Die Bilanz spricht Klartext
Im aktuellen Konzernbericht der Otto Group steht, was die Branche seit Monaten ahnt: Hermes Germany schrieb 2024/25 (Geschäftsjahr bis Februar) einen Fehlbetrag von rund 231 Mio. Euro – bei ca. 1,6 Mrd. Euro Umsatz.
Der Buchwert der Beteiligung ist auf null gesetzt. Hinter der nüchternen Zahl verbirgt sich ein deutliches Signal: Der Eigentümer rechnet seine Optionen neu durch – bis hin zu „Turnaround-Prozessen“ oder Schließungen, wie es im Bericht heißt.

Wenn zehn Prozent weniger Volumen die Hälfte des Gewinns kosten
Paketlogistik ist ein Netzgeschäft: Nur bei hoher Auslastung arbeiten Touren, Depots und Sortieranlagen profitabel. Bricht das Volumen ein, schlagen Fixkosten erbarmungslos zu.
In der Branche gilt als Faustregel: –10 % Menge können –50 % Ergebnis vor Steuern bedeuten, wenn das Netz unverändert weiterläuft. Genau diese Hebelwirkung trifft Hermes – verstärkt durch einen vergleichsweise niedrigen Digitalisierungsgrad und einseitige B2C-Lastigkeit.
Strukturfehler statt Sündenbock Konjunktur
Die Pandemie ließ 2021 die Sendungsmengen auf Rekord klettern. Doch der Rückenwind war trügerisch. Während Marktführer DHL mit schierer Größe beide Welten bedient – B2C und profitables B2B-Tagesgeschäft – konzentriert sich Hermes traditionell auf Heimlieferungen an Privatkunden.
Das ist teuer: Viele Stopps, geringe Bündelung, hohe Fehlzustellraten. Wettbewerber wie DPD, GLS und UPS fahren lukrativere Geschäftsadressen an – dort ist der Empfänger meist vor Ort, die Tour dichter, die Marge stabiler.
Managementfehler: zu wenig Tech, zu spät
Das zweite Handicap ist hausgemacht. Branchenintern gilt Hermes als spät dran bei Digitalisierung und Prozessautomatisierung. Wo andere seit Jahren per Echtzeitdaten Touren optimieren, Auslastung steuern und Zustellfenster dynamisch bepreisen, wirkt Hermes oft analog.
Das rächt sich in einer Phase, in der Energie-, Lohn- und Fahrzeugkosten steigen und der Spielraum für Quersubventionen schwindet.
Personal, das den Preis zahlt
Die Sanierung trifft auch die Belegschaft. Verdi spricht beim Sozialplan von einem „Kompromiss“, moniert aber eine unlösbare Motivationsaufgabe: Wer weniger Menschen mehr Pakete zustellen lässt – 200 Sendungen am Tag sind in Metropolen keine Ausnahme –, zerrt an der Leistungsgrenze.
Parallel will Hermes die gesamte Zustellung auf Fremdfirmen umstellen. Das senkt Fixkosten, erhöht aber die Abhängigkeit von Dienstleistern – und verschiebt Reputationsrisiken in die Lieferkette.
Verkaufsgerüchte: von DPD bis Temu
Je tiefer der Verlust, desto lauter die Gerüchte. Mit DPD (La Poste) wurde in der Vergangenheit gesprochen, FedEx galt als Kandidat – realistisch ist das angesichts der TNT-Integration kaum. InPost (Polen) hat bereits Ottos Mondial Relay in Frankreich übernommen und kennt das Terrain.
Ein heißes Szenario für Marktbeobachter: chinesische Plattformen wie Temu oder Shein. Wer Deutschlands Online-Konsumenten beliefert, braucht entweder langfristige Slots bei DHL – oder ein eigenes Netz. Hermes böte Infrastruktur, Sortierkapazitäten und ca. 17.000 Paketshops in einem Rutsch. Auch JD.com, das sich in Deutschland breiter aufstellt, wird genannt.

Kurz gesagt: Für europäische Kuriere ist Hermes schwer verdaulich – für globale E-Commerce-Angreifer dagegen ein Markteintrittsbeschleuniger.
Der Plan B: Schrumpfen, fokussieren, Partner nutzen
Gelingt kein Verkauf, bleibt der harte Weg:
- Netz fokussieren – Rückzug aus dünn besiedelten Regionen, Konzentration auf Großstädte.
- Kooperationsmodell – ländliche Zustellungen an DHL einspeisen, urban eigene Stärken ausspielen.
- Digital nachrüsten – Tourenplanung, ETA-Steuerung, dynamische Zeitfenster, KI-gestütztes Volumenmanagement.
- Produkt neu denken – bessere Abholung/Retouren an Paketshops, Mehrwertservices für Händler (zeitgenaue Slots, CO₂-Transparenz, Versicherungsangebote).

Preisimage verloren – was bleibt?
Hermes galt früher als „günstig, aber langsam“. Nach jüngsten Preisrunden ist der Vorsprung gegenüber DHL kleiner, das Alleinstellungsmerkmal verblasst. Ohne klare Produktdifferenzierung (Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Service) verpuffen Rabatte. In einem Fünf-Spieler-Markt mit hoher Fixkostenbasis bleibt dann nur die Radikalkur: Kosten runter, Netzwerk neu zuschneiden – oder unter ein stärkeres Dach schlüpfen.
Was Investoren jetzt wissen müssen
- Turnaround-Risiko hoch: Null-Buchwert im Otto-Konzern signalisiert: Es wird nichts beschönigt.
- Optionen liegen auf dem Tisch: Verkauf (strategischer Käufer), Joint Venture, oder „City-Hermes“ plus Auslagerung der Fläche an Partner.
- Branchenlogik gnadenlos: Volumen ist König. Wer es nicht hat, kauft es ein – oder verkauft das Netz.
- Politik/Arbeitsmarkt: Outsourcing entschärft Fixkosten, verschärft aber Debatten um Arbeitsbedingungen – ein Reputationsfaktor, der Preise und Händlerverträge beeinflusst.
Jetzt entscheidet die Netzkarte
Hermes hat keine Zeit mehr für kosmetische Korrekturen. Entweder gelingt der Neuschnitt des Netzes mit klarem Produktversprechen und digitalem Rückgrat – oder andere schreiben die Landkarte neu. Für Käufer, die Tempo im deutschen E-Commerce wollen, ist Hermes eine Abkürzung. Für Otto ist es eine Entscheidung über Strategie, nicht Sentiment. Beides wird den deutschen Paketmarkt auf Jahre prägen
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