09. September, 2025

Unternehmen

Hermes taumelt: Was hinter dem Absturz steckt – und wer jetzt zugreifen könnte

Die Otto-Tochter rutscht tief in die roten Zahlen, streicht Hunderte Jobs und stellt die Zustellung um. InvestmentWeek zeigt, warum der einstige Online-Boomer abstürzt, wer als Käufer infrage kommt – und wie Hermes sich noch retten kann.

Hermes taumelt: Was hinter dem Absturz steckt – und wer jetzt zugreifen könnte
Tiefrote Zahlen: Hermes Germany schließt 2024/25 mit –231 Mio. € bei 1,6 Mrd. € Umsatz ab – der Buchwert im Otto-Konzern steht auf null.

Aufprall nach der Pandemie-Party

Hermes war einmal das flotte Werbeversprechen der E-Commerce-Ära: bestellen, am nächsten Tag liefern. Jetzt steht der Paketdienst vor einer harten Landung. Die Bestelllaune der Kunden ist verflogen, die Kosten sind gestiegen – und ausgerechnet der Digitalisierungsvorsprung der Konkurrenz legt die Schwächen der Otto-Tochter schonungslos frei.

Ergebnis: mindestens 700 Stellen fallen weg, Zustellleistungen wandern zu Subunternehmern, das eigene Zustellnetz wird ausgedünnt.

Die Bilanz spricht Klartext

Im aktuellen Konzernbericht der Otto Group steht, was die Branche seit Monaten ahnt: Hermes Germany schrieb 2024/25 (Geschäftsjahr bis Februar) einen Fehlbetrag von rund 231 Mio. Euro – bei ca. 1,6 Mrd. Euro Umsatz.

Der Buchwert der Beteiligung ist auf null gesetzt. Hinter der nüchternen Zahl verbirgt sich ein deutliches Signal: Der Eigentümer rechnet seine Optionen neu durch – bis hin zu „Turnaround-Prozessen“ oder Schließungen, wie es im Bericht heißt.

Sanieren mit der Brechstange: Mindestens 700 Stellen weg, Zustellung vollständig an Subunternehmer ausgelagert – während Fahrer in Metropolen teils 200 Pakete pro Tag stemmen.

Wenn zehn Prozent weniger Volumen die Hälfte des Gewinns kosten

Paketlogistik ist ein Netzgeschäft: Nur bei hoher Auslastung arbeiten Touren, Depots und Sortieranlagen profitabel. Bricht das Volumen ein, schlagen Fixkosten erbarmungslos zu.

In der Branche gilt als Faustregel: –10 % Menge können –50 % Ergebnis vor Steuern bedeuten, wenn das Netz unverändert weiterläuft. Genau diese Hebelwirkung trifft Hermes – verstärkt durch einen vergleichsweise niedrigen Digitalisierungsgrad und einseitige B2C-Lastigkeit.

Strukturfehler statt Sündenbock Konjunktur

Die Pandemie ließ 2021 die Sendungsmengen auf Rekord klettern. Doch der Rückenwind war trügerisch. Während Marktführer DHL mit schierer Größe beide Welten bedient – B2C und profitables B2B-Tagesgeschäft – konzentriert sich Hermes traditionell auf Heimlieferungen an Privatkunden.

Das ist teuer: Viele Stopps, geringe Bündelung, hohe Fehlzustellraten. Wettbewerber wie DPD, GLS und UPS fahren lukrativere Geschäftsadressen an – dort ist der Empfänger meist vor Ort, die Tour dichter, die Marge stabiler.

Managementfehler: zu wenig Tech, zu spät

Das zweite Handicap ist hausgemacht. Branchenintern gilt Hermes als spät dran bei Digitalisierung und Prozessautomatisierung. Wo andere seit Jahren per Echtzeitdaten Touren optimieren, Auslastung steuern und Zustellfenster dynamisch bepreisen, wirkt Hermes oft analog.

Das rächt sich in einer Phase, in der Energie-, Lohn- und Fahrzeugkosten steigen und der Spielraum für Quersubventionen schwindet.

Personal, das den Preis zahlt

Die Sanierung trifft auch die Belegschaft. Verdi spricht beim Sozialplan von einem „Kompromiss“, moniert aber eine unlösbare Motivationsaufgabe: Wer weniger Menschen mehr Pakete zustellen lässt – 200 Sendungen am Tag sind in Metropolen keine Ausnahme –, zerrt an der Leistungsgrenze.

Parallel will Hermes die gesamte Zustellung auf Fremdfirmen umstellen. Das senkt Fixkosten, erhöht aber die Abhängigkeit von Dienstleistern – und verschiebt Reputationsrisiken in die Lieferkette.

Verkaufsgerüchte: von DPD bis Temu

Je tiefer der Verlust, desto lauter die Gerüchte. Mit DPD (La Poste) wurde in der Vergangenheit gesprochen, FedEx galt als Kandidat – realistisch ist das angesichts der TNT-Integration kaum. InPost (Polen) hat bereits Ottos Mondial Relay in Frankreich übernommen und kennt das Terrain.

Ein heißes Szenario für Marktbeobachter: chinesische Plattformen wie Temu oder Shein. Wer Deutschlands Online-Konsumenten beliefert, braucht entweder langfristige Slots bei DHL – oder ein eigenes Netz. Hermes böte Infrastruktur, Sortierkapazitäten und ca. 17.000 Paketshops in einem Rutsch. Auch JD.com, das sich in Deutschland breiter aufstellt, wird genannt.

Strukturproblem statt Konjunktur: Hermes hängt im teuren B2C-Geschäft fest und gilt als wenig digitalisiert – Wettbewerber wie DPD, GLS, UPS verdienen im B2B-Segment stabiler.

Kurz gesagt: Für europäische Kuriere ist Hermes schwer verdaulich – für globale E-Commerce-Angreifer dagegen ein Markteintrittsbeschleuniger.

Der Plan B: Schrumpfen, fokussieren, Partner nutzen

Gelingt kein Verkauf, bleibt der harte Weg:

  • Netz fokussierenRückzug aus dünn besiedelten Regionen, Konzentration auf Großstädte.
  • Kooperationsmodell – ländliche Zustellungen an DHL einspeisen, urban eigene Stärken ausspielen.
  • Digital nachrüsten – Tourenplanung, ETA-Steuerung, dynamische Zeitfenster, KI-gestütztes Volumenmanagement.
  • Produkt neu denken – bessere Abholung/Retouren an Paketshops, Mehrwertservices für Händler (zeitgenaue Slots, CO₂-Transparenz, Versicherungsangebote).
Broadcoms KI-Boom sprengt Erwartungen
Der US-Chipkonzern hebt seine Prognose für das laufende Quartal an – die Nachfrage nach KI-Halbleitern treibt den Umsatz auf Rekordhöhe. Anleger feiern, Analysten staunen.

Preisimage verloren – was bleibt?

Hermes galt früher als „günstig, aber langsam“. Nach jüngsten Preisrunden ist der Vorsprung gegenüber DHL kleiner, das Alleinstellungsmerkmal verblasst. Ohne klare Produktdifferenzierung (Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Service) verpuffen Rabatte. In einem Fünf-Spieler-Markt mit hoher Fixkostenbasis bleibt dann nur die Radikalkur: Kosten runter, Netzwerk neu zuschneiden – oder unter ein stärkeres Dach schlüpfen.

Was Investoren jetzt wissen müssen

  • Turnaround-Risiko hoch: Null-Buchwert im Otto-Konzern signalisiert: Es wird nichts beschönigt.
  • Optionen liegen auf dem Tisch: Verkauf (strategischer Käufer), Joint Venture, oder „City-Hermes“ plus Auslagerung der Fläche an Partner.
  • Branchenlogik gnadenlos: Volumen ist König. Wer es nicht hat, kauft es ein – oder verkauft das Netz.
  • Politik/Arbeitsmarkt: Outsourcing entschärft Fixkosten, verschärft aber Debatten um Arbeitsbedingungen – ein Reputationsfaktor, der Preise und Händlerverträge beeinflusst.

Jetzt entscheidet die Netzkarte

Hermes hat keine Zeit mehr für kosmetische Korrekturen. Entweder gelingt der Neuschnitt des Netzes mit klarem Produktversprechen und digitalem Rückgrat – oder andere schreiben die Landkarte neu. Für Käufer, die Tempo im deutschen E-Commerce wollen, ist Hermes eine Abkürzung. Für Otto ist es eine Entscheidung über Strategie, nicht Sentiment. Beides wird den deutschen Paketmarkt auf Jahre prägen

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