Der Einstieg ist so direkt, wie es der frühere Ifo-Präsident liebt: Hans-Werner Sinn sieht die junge Generation in Deutschland „in einer fatalen Lage“. Kaum jemand im ökonomischen Establishment formuliert die demografische Krise so ungeschminkt wie er.
Und kaum jemand spricht mit solcher Härte über die Babyboomer – jene geburtenstarken Jahrgänge, die das Sozialsystem über Jahrzehnte geprägt haben und es nun an den Rand der Belastbarkeit bringen.
„Zu wenige Kinder, zu hohe Schulden“
Sinns Diagnose ist brutal in ihrer Einfachheit. Die Babyboomer hätten zu wenige Kinder bekommen, um die umlagefinanzierte Rente zu tragen. Gleichzeitig hätten sie enorme Schulden aufgenommen, „um die Folgen ihrer eigenen Entscheidungen abzufedern“. Die Konsequenz? Ein System, in dem soziale Sicherung immer teurer wird – und der Preis in den kommenden Jahren fast ausschließlich von den Jüngeren getragen werde.
Die Warnung des Ökonomen kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die politischen Lager sich tief in der Rentenfrage verhaken. Und sie trifft in einen Nerv: Der Generationenkonflikt, den Deutschland lange ignoriert hat, bricht immer deutlicher auf.

Altersarmut im Anmarsch
Sinn erwartet eine Entwicklung, die vielen Deutschen erst noch bewusst werden dürfte: „Wir werden bei den Babyboomern schlimme Altersarmut und Pflegebedürftigkeit sehen.“ Das sei absehbar, nicht dramatisiert, sondern eine nüchterne Konsequenz der demografischen Kurve.
Die alternde Gesellschaft trifft dabei auf ein Sozialsystem, das bereits heute ächzt. Pflegeeinrichtungen warnen vor Personalmangel, die Rentenkassen rutschen in die roten Zahlen, und gleichzeitig steigen die Ausgaben für Gesundheit und soziale Leistungen. Für Sinn ist das kein Naturereignis – sondern ein politischer Fehler, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat.
„Bekommt Kinder!“ – provokanter Rat an die Jungen
Der zweite Teil seiner Botschaft richtet sich nicht an die Politik, sondern an die Bevölkerung. Sinn fordert die jüngere Generation auf, sich nicht in die Rolle des stillen Beitragszahlers zu fügen: „Bekommt Kinder!“, sagt er. Der Appell wirkt altmodisch, vielleicht sogar anmaßend – aber er ist Ausdruck eines ökonomischen Gedankens: In einer alternden Gesellschaft sind Kinder nicht nur Privatvergnügen, sondern strukturelle Notwendigkeit.
Dass diese Debatte damit zum Teil emotionaler wird, liegt auf der Hand. Denn bei kaum einem Thema prallen individuelle Lebensentscheidungen und gesellschaftliche Erwartungen so hart aufeinander wie bei der Familienpolitik.
Die Politik steckt fest – und der Streit eskaliert
Während Sinn mahnt, ringt die Politik um die sogenannte Haltelinie beim Rentenniveau. Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hatte vereinbart, das Rentenniveau bis 2031 bei mindestens 48 Prozent zu halten. Doch der aktuelle Gesetzesentwurf geht darüber hinaus – und verschiebt zusätzliche Kosten von rund 120 Milliarden Euro in die Zukunft.
Genau hier entzündet sich Widerstand. Die Junge Union und junge Abgeordnete im Bundestag warnen vor einem „Rentenpaket auf Pump“, das die nachfolgenden Generationen über Jahrzehnte bindet. JU-Chef Johannes Winkel brachte es beim Deutschlandtag der Jungen Union in Rust auf den Punkt: „Diese Folgekosten dürfen nicht einfach durchgewunken werden.“
Unterstützung kommt sogar aus den eigenen Reihen: Baden-Württembergs CDU-Landeschef Manuel Hagel fordert weitere Verhandlungen – und kommentiert bissig, dass die geplante Rentenkommission „nur noch Kuchen essen“ könne, wenn das Gesetz unverändert komme.
Der falsche Zeitpunkt für falsche Versprechen
Dass diese Debatte jetzt hochkocht, ist kein Zufall. Die demografische Realität lässt sich nicht länger überspielen: Deutschland altert schneller, als die Politik darauf reagiert. Und jeder Prozentpunkt mehr beim Rentenniveau bedeutet Milliardenlasten, die finanziert werden müssen – in einem Land, das bereits unter steigenden Sozialausgaben, Investitionsstau und wachsendem Schuldenberg ächzt.
Ökonomen warnen seit Jahren, dass Reformen nicht nur nötig, sondern überfällig sind. Sinn ist nur einer der lautesten Stimmen – aber nicht der einzige.
Ein Konflikt, der nicht von allein verschwindet
Es wäre bequem zu glauben, die demografischen Probleme ließen sich durch wirtschaftliches Wachstum oder technische Innovation lösen. Sinn widerspricht dem entschieden. „Der liebe Gott wird unser Problem nicht lösen“, sagt er. Und er meint damit, dass keine externe Kraft die Folgen jahrzehntelanger Entscheidungen einfach beseitigen wird.
Die unbequeme Wahrheit lautet: Deutschland muss entscheiden, welches Sozialsystem es sich künftig leisten will – und wer dafür bezahlen soll.
Dass ausgerechnet ein Ökonom die Debatte so schonungslos anstößt, zeigt, wie festgefahren die Politik inzwischen ist. Die Warnung steht im Raum. Wegsehen funktioniert nicht mehr.


