Die Unterbringungskosten wachsen schneller als jede Planung
883 Millionen Euro gab Berlin 2024 für die Unterbringung von Migranten aus – fast dreimal so viel wie 2020. Die Zahl kommt nicht überraschend, aber ihre Dimension verändert die Debatte. Während die Zuwanderung seit 2024 rückläufig ist, steigen die Kosten weiter an. Interne Senatsdaten, die dem „Tagesspiegel“ und der dpa vorliegen, bestätigen eine finanzielle Entwicklung, die längst aus dem Rahmen üblicher Haushaltszyklen gefallen ist.
Die Ursachen liegen weniger in der Zahl der Menschen als in der Struktur der Versorgung. Große Einrichtungen wie Tegel oder Tempelhof dominieren die Kostenaufstellung. Allein Tegel verschlang 2024 rund 260 Millionen Euro – ein Betrag, der jede haushalterische Flexibilität absorbiert.

Die Haushaltslogik stößt an ihre Grenzen
Zwischen 2022 und 2025 haben sich die Gesamtausgaben Berlins für Unterbringung, Versorgung und Integration nahezu verdoppelt und erreichen 2,24 Milliarden Euro jährlich. Kurzzeitig diskutierte die schwarz-rote Koalition, eine „Notlage“ auszurufen, um Notkredite aufnehmen zu können. Politisch wäre das ein Signal tiefgreifender struktureller Überforderung gewesen.
Inzwischen hält die Koalition den Schritt für nicht mehr notwendig. Der Doppelhaushalt 2026/2027 enthält bis zu 870 Millionen Euro pro Jahr als Reserve für steigende Bedarfe. Doch diese Pufferformel kaschiert vor allem, dass Berlin eine Kostenstruktur aufgebaut hat, die schwer wieder einzufangen ist.
Großeinrichtungen bleiben der teuerste Faktor
Tegel und Tempelhof stehen sinnbildlich für eine Unterbringungslogik, die in der Hochphase der Zuwanderung entstanden ist und sich nur langsam zurückbauen lässt. Die Infrastruktur ist komplex, die Sicherheits- und Betreuungsstandards sind hoch, und die Verträge mit privaten Betreibern binden Mittel über Jahre. Selbst bei sinkenden Belegungszahlen bleiben fixe Kosten bestehen, die den Landeshaushalt dauerhaft belasten.
Für die Verwaltung stellt sich die Frage, wie diese Strukturen ohne erneuten Kapazitätsengpass reduziert werden können. Die Koalition hat sich vorerst darauf verständigt, keine neuen Standorte aufzubauen. Doch das ändert nichts daran, dass das bestehende System kostenintensiv bleibt, solange alternative Lösungen fehlen.

Die Zahl der Geflüchteten geht zurück, die Systeme bleiben gefüllt
2024 kamen rund 21.000 Menschen nach Berlin – etwa ein Drittel weniger als 2023. Im laufenden Jahr sank die Zahl bis Oktober auf knapp 11.700. An der Auslastung der Unterkünfte ändert das nur wenig: Mitte November lebten rund 36.800 Menschen in Einrichtungen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten.
Die Diskrepanz zwischen rückläufiger Zuwanderung und stabil hohen Bewohnerzahlen zeigt ein strukturelles Problem: Viele Menschen bleiben lange in den Unterkünften, weil Übergänge in den regulären Wohnungsmarkt fehlen. Die angespannte Wohnsituation der Stadt macht jede Verweildauer länger – und jede Unterbringung teurer.
Die politische Debatte verschiebt sich in Richtung Strukturfragen
Die vergangenen Jahre waren von Ad-hoc-Lösungen geprägt, die angesichts der Lage kaum zu vermeiden waren. Doch die Kosten von heute sind die Folge dieser Entscheidungen. Das Land bezahlt nicht nur für Betreuung und Unterkünfte, sondern auch für die Trägheit eines Systems, das kaum flexibel reagiert.
Die Frage, wie Berlin seine Kapazitäten langfristig gestaltet, rückt deshalb ins Zentrum. Es geht weniger darum, zusätzliche Standorte zu eröffnen oder zu schließen, sondern um eine Neuordnung eines Versorgungssystems, das in der Krise gewachsen ist und nun in den Normalbetrieb überführt werden muss – ohne dass klar ist, was „Normalbetrieb“ angesichts weltpolitischer Entwicklungen überhaupt bedeutet.
Die Pointe liegt in der Umkehrung der Logik
Berlin erlebt etwas Ungewöhnliches: weniger Geflüchtete, aber höhere Kosten. Der finanzielle Druck zeigt, dass ein System, das in der Ausnahmesituation funktioniert hat, in ruhigeren Zeiten seine eigenen Widersprüche offenlegt. Der Versuch, diese Spirale zu brechen, wird zur eigentlichen politischen Aufgabe – und entscheidet darüber, wie tragfähig Berlins Integrationsarchitektur in Zukunft sein wird.


