Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Kein Land der Welt verliert im Jahr 2025 so viele Millionäre wie Großbritannien. 16.500 Hochvermögende werden dem Vereinigten Königreich in diesem Jahr den Rücken kehren – das geht aus dem aktuellen "Henley Private Wealth Migration Report" hervor.
Damit verzeichnet die Insel den größten Millionärsexodus, den Henley & Partners und das Analysehaus New World Wealth seit Beginn ihrer Erhebungen vor zehn Jahren jemals dokumentierten.
Ein Wendepunkt, wie Henley-CEO Juerg Steffen betont: „Zum ersten Mal in einem Jahrzehnt liegt kein Schwellenland, sondern ein europäischer Industriestaat an der Spitze der Nettoauswanderung reicher Privatpersonen.“
Von der Wohlstandsoase zum Hochsteuerland
Lange galt das Vereinigte Königreich als sicherer Hafen für Kapital, Ideen und unternehmerische Ambitionen. Doch diese Ära scheint vorbei. Der vielzitierte „Wexit“ – der Wealth-Exit – ist längst Realität geworden.
Der maßgebliche Auslöser: der Oktober-Haushalt 2024 der neuen Labour-Regierung. Mit schmerzhaften Erhöhungen der Kapitalertragsteuer und der Erbschaftsteuer, einer massiven Reform der Regeln für Non-Dom-Residenzen sowie verschärften Auflagen für familiäre Vermögensstrukturen wurde aus einem Steuerstandort ein Steuerproblem.
Die Maßnahmen traten im April 2025 in Kraft – die Folgen spürt man schon jetzt: eine historische Flucht der Vermögenden.
„Die Attraktivität Großbritanniens ist nicht nur angeschlagen, sie erodiert in Echtzeit“, warnt Stuart Wakeling, Partner bei Henley & Partners und Leiter des Londoner Büros. „Wir verlieren auf beiden Seiten der Gleichung – es kommen kaum neue Investoren, gleichzeitig wandern so viele Millionäre ab wie nie zuvor.“

Reiche schalten auf Rückzug
Bemerkenswert: Rund 60 % der Abwandernden stammen gar nicht aus Großbritannien. Es sind internationale Investoren, Banker, Tech-Gründer, Unternehmer aus Asien, dem Nahen Osten und Afrika – einstige Brexit-Optimisten, die London bewusst als Wohnsitz gewählt hatten.
Nun ziehen sie weiter – nach Dubai, New York, Lissabon, Athen oder Zürich. Was sie suchen, sind Planbarkeit, Stabilität, steuerliche Anreize – und vor allem ein wirtschaftliches Umfeld, das Innovation belohnt, statt es zu bestrafen.
Der wirtschaftspolitische Kurs der Labour-Regierung hat das Vertrauen vieler Reicher erschüttert. Die Regierung wolle „Steuergerechtigkeit herstellen“, heißt es offiziell. In der Praxis trifft es jedoch ausgerechnet jene Berufsgruppen, die maßgeblich zur Londoner Wirtschaftsleistung beigetragen haben: Fondsmanager, Tech-Unternehmer, Juristen und Finanzdienstleister.
„Vor allem der Finanz- und Dienstleistungssektor ist betroffen“, erklärt Andrew Amoils, Forschungsleiter bei New World Wealth. „Das betrifft Banken, Fondsverwalter, Kanzleien – aber auch Start-ups und Technologieunternehmen.“
Europas Wohlstand wandert gen Süden
Großbritannien ist kein Einzelfall. Auch Frankreich (–800), Spanien (–500) und Deutschland (–400) verzeichnen laut Henley-Report in diesem Jahr Nettoverluste an Millionären. Doch das Ausmaß ist dort vergleichsweise moderat.
Und: Es gibt innerhalb Europas neue Profiteure – allen voran Italien (+3.600), Portugal (+1.400) und Griechenland (+1.200). Sie punkten mit steuerlichen Sonderregeln für Neuzuzügler, einer hohen Lebensqualität und einem unternehmerfreundlichen Klima.
Dazu kommen vergleichsweise günstige Lebenshaltungskosten und großzügige Einwanderungsprogramme.
Global an der Spitze der Anziehungskraft steht weiterhin die Vereinigten Arabischen Emirate (+9.800), gefolgt von den USA (+7.500) und der Schweiz (+3.000). Selbst Schwellenländer wie Thailand und Montenegro ziehen zunehmend wohlhabende Auswanderer an – ein bemerkenswerter Wandel im geopolitischen Kräftefeld der Vermögensmobilität.
Was der Exodus wirklich bedeutet
Was wie ein Nischenthema klingt, hat reale wirtschaftliche Konsequenzen. Millionäre bringen nicht nur Kapital mit, sondern schaffen Arbeitsplätze, investieren in Unternehmen, Start-ups und Immobilien, finanzieren Kultur, Wissenschaft, Universitäten.
Wenn sie gehen, nehmen sie all das mit. Und oft mehr: Netzwerke, Know-how, Einfluss. Der Abfluss von Hochvermögenden ist damit nicht nur ein steuerpolitisches Problem, sondern ein Symptom eines viel tiefer liegenden Standortversagens.
Trevor Williams, Ökonom und langjähriger Chefvolkswirt von Lloyds Bank, bringt es auf den Punkt: „Großbritannien ist das einzige Land unter den zehn wohlhabendsten Nationen der Welt, das seit 2014 einen Rückgang bei der Zahl der Millionäre verzeichnet. Die USA hingegen verzeichneten im gleichen Zeitraum ein Plus von 78 %.“
Das könnte Sie auch interessieren:
