Bechtle, Rational, United Internet: Wo die Unternehmensführung versagt
Während sich Dax-Konzerne im Schnitt mit der Schulnote 2,8 noch solide präsentieren, sieht es im M-Dax deutlich düsterer aus.
Acht Unternehmen kassieren ein vernichtendes Urteil – Note 5, nicht ausreichend. United Internet, Bechtle, Rational, CTS Eventim, Auto1, Hypoport, Nemetschek und Traton fielen im aktuellen Governance-Rating durch.
Für Investoren ist das mehr als ein Warnsignal: Corporate Governance gilt als Frühindikator für Risiken – von Bilanztricks bis Managementversagen.
Governance als Risikofaktor
Union Investment und der Stimmrechtsberater Ivox Glass Lewis nehmen in ihrem aktuellen Governance-Rating die Führungsstrukturen der börsennotierten Unternehmen unter die Lupe – zum mittlerweile siebten Mal im Dax, zum fünften Mal im M-Dax.
Die Kriterien wurden 2025 weiter verschärft: Unabhängigkeit des Aufsichtsrats, Ämterhäufung, Transparenz und Frauenquote im Vorstand stehen besonders im Fokus.
„Wir haben die Latte höher gelegt“, sagt Vanda Rothacker, ESG-Strategin bei Union Investment.
Und das Ergebnis: ernüchternd. Besonders im M-Dax zeigt sich, dass viele Unternehmen den neuen Anforderungen nicht gerecht werden – teilweise mit eklatanten Defiziten.
Dax: Porsche fällt negativ auf – Infineon überrascht
Im Dax schneidet der Chip-Konzern Infineon mit der Note 2 am besten ab – gefolgt von SAP und der Deutschen Börse. Am unteren Ende: Die Porsche AG und die Porsche SE, beide mit Note 5+.
Ein Doppelflop für die Holding- und Luxusautoschiene der Volkswagen-Gruppe – und ein Imageproblem für das Management rund um Oliver Blume.
Bemerkenswert: Gerade bei Themen wie Vergütungstransparenz und Kontrolle des Vorstands fallen manche Prestigekonzerne weit hinter die Erwartungen zurück.

Ein Grund: intransparente Entscheidungswege, unklare Aufsicht und strukturelle Interessenkonflikte – besonders in Holdings und Familienunternehmen.
M-Dax: Wenn Mittelstand Governance übersieht
Im M-Dax ist das Problem struktureller. Viele Unternehmen – oft familiengeführt oder eigentümergeprägt – tun sich schwer, Moderne Governance-Standards mit operativer Agilität zu verbinden.
Häufige Kritikpunkte: mangelhafte Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, unklare Nachfolgeplanung, kaum Diversität in der Führung.
Rational, ein weltweit erfolgreicher Küchengerätehersteller, fällt durch. Ebenso Bechtle, eine IT-Größe, die sonst mit Stabilität punktet. Auch United Internet als Telekom-Gesellschaft mit Milliardenumsatz bleibt unterdurchschnittlich. Und selbst Nemetschek, ein Hidden Champion der Bau-Softwarebranche, landet bei Note 5.
Für Anleger bedeutet das: Gute Zahlen ersetzen keine gute Führung. Gerade im Mittelstand klaffen operative Exzellenz und Kontrollstrukturen oft auseinander – ein Risiko, das in Krisenzeiten gravierend werden kann.
Governance-Mängel: Kein Nebenkriegsschauplatz
Warum dieses Thema für Anleger mehr ist als ein formales ESG-Kriterium? Weil schlechte Governance messbare Risiken birgt: Von der überhöhten Vorstandsvergütung bis zur verspäteten Reaktion auf Krisen, von rechtlichen Auseinandersetzungen bis zu sinkender Investorenakzeptanz.
„Unabhängigkeit und klare Kontrolle sind keine Option, sondern Pflicht“, so Carola Schroeder, Leiterin des Portfoliomanagements bei Union Investment.
Gerade in einem zunehmend regulierten und ESG-orientierten Marktumfeld gilt: Wer Governance vernachlässigt, verliert das Vertrauen – und Kapital.
Transparenz ist nicht alles – aber der Anfang
Das Corporate-Governance-Ranking basiert auf 80 Einzelfragen in sieben Kategorien. Alle Bewertungen stützen sich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Informationen mit Stichtag Januar 2025. Die maximale Punktzahl: 100. Für eine „ausreichende“ Bewertung sind mindestens 50 Punkte notwendig – wer darunter liegt, fällt durch.
Dass ganze acht M-Dax-Unternehmen die Mindestpunktzahl verfehlen, zeigt: Viele Unternehmen unterschätzen die strategische Bedeutung von Governance – oder verstehen sie noch immer als Formalie.
Ein Weckruf mit Adressat
Das Ranking soll kein Pranger sein, betonen Rothacker und Schroeder. Es ist ein Weckruf. Einer, der zeigt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Mittelstand oft auseinanderliegen.
Und einer, der börsennotierten Unternehmen eine klare Botschaft sendet: Wer Zugang zu Kapital will, muss mehr liefern als Zahlen – er braucht Haltung, Struktur und Kontrolle.
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