Gold kennt in diesem Jahr nur eine Richtung. Am Montagmorgen kostete eine Feinunze erstmals mehr als 4400 US-Dollar, in der Spitze 4.420 Dollar. Es war bereits das 51. Rekordhoch im laufenden Jahr – eine Zahl, die selbst erfahrene Rohstoffinvestoren aufhorchen lässt. Der Markt preist nicht nur weitere Zinssenkungen ein. Er stimmt über das Vertrauen in das westliche Finanzsystem ab.
Zinssignale aus den USA geben den Startschuss
Der unmittelbare Auslöser liegt in den Vereinigten Staaten. Neue Konjunkturdaten deuten darauf hin, dass die Inflation stärker nachlässt als erwartet. Im November lag sie mit 2,7 Prozent unter den Prognosen. Gleichzeitig kühlt sich der Arbeitsmarkt ab.
Für die Federal Reserve ergibt sich daraus ein bekanntes Dilemma. Offiziell verfolgt sie ein Inflationsziel von zwei Prozent, gleichzeitig aber ein Doppelmandat aus Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Sinkende Teuerung bei schwächerem Jobmarkt erhöht den Druck, die Zinsen weiter zu senken. Genau darauf setzen die Märkte.

Gold profitiert traditionell von fallenden Zinsen. Das Edelmetall wirft keine laufenden Erträge ab und steht bei hohen Renditen von Staatsanleihen im Nachteil. Dreht der Zinszyklus, verschiebt sich die Rechnung – zugunsten von Gold.
Der alte Zusammenhang funktioniert nur noch teilweise
Doch die Rally lässt sich nicht allein mit der Geldpolitik erklären. Der klassische negative Zusammenhang zwischen Anleiherenditen und Goldpreis hat sich in den vergangenen Jahren deutlich abgeschwächt. Anleger misstrauen Staatsanleihen zunehmend – nicht wegen mangelnder Liquidität, sondern wegen explodierender Schuldenstände.
Besonders die USA stehen im Fokus. Die Verschuldung wächst, das politische Klima ist angespannt, und der Druck auf die Notenbank nimmt zu. Donald Trump hat wiederholt niedrige Zinsen gefordert, um den defizitären Staatshaushalt leichter finanzieren zu können. Für viele Investoren ist das ein Warnsignal. Wo politische Interessen offen auf Geldpolitik treffen, steigt die Nachfrage nach einem Wertaufbewahrungsmittel ohne Gegenpartei.
Der Dollar verliert seinen Nimbus
Parallel dazu bröckelt das Vertrauen in den US-Dollar. Er bleibt Leitwährung, doch seine Sonderstellung wirkt weniger unangreifbar als früher. Genau davon profitiert Gold. 2025 war geprägt von Umschichtungen institutioneller Portfolios: weg von Dollar-Anlagen, hin zu physischen Werten und Edelmetallen.
Bemerkenswert ist dabei der zeitliche Verlauf. Während Silber bereits seit Ende November von Rekord zu Rekord eilt, hatte Gold zuletzt pausiert. Das letzte Hoch stammte aus dem Oktober, ausgelöst durch einen Haushaltsstreit in Washington, der zeitweise zum Stillstand der Regierungsgeschäfte führte. Damals durchbrach Gold erstmals die 4000-Dollar-Marke – und konsolidierte anschließend monatelang auf hohem Niveau.
Geopolitik liefert den nächsten Preistreiber
Jetzt kommt ein weiterer Faktor hinzu: Geopolitik. Die Eskalation zwischen den USA und Venezuela, ausgelöst durch eine Blockade sanktionierter venezolanischer Tanker, hat die Nervosität an den Märkten spürbar erhöht. Solche Konflikte wirken auf den Goldpreis oft stärker als reine Konjunkturdaten, weil sie schwer kalkulierbar sind.

Eine Umfrage des Edelmetallhändlers BullionVault unter mehr als 1500 Kunden bestätigt dieses Bild. Für die Mehrheit der Befragten ist Geopolitik inzwischen der wichtigste Preistreiber. Im Schnitt erwarten sie für 2026 einen Goldpreis von rund 5136 Dollar je Unze – ein Plus von etwa 20 Prozent gegenüber dem aktuellen Niveau.
Analysten erhöhen die Zielmarken
Auch die Banken ziehen nach. Die Commerzbank hält Preise um 4400 Dollar je Unze für realistisch, die UBS sieht Gold bei 4500 Dollar. Noch etwas optimistischer zeigt sich WisdomTree: Rohstoffstratege Nitesh Shah rechnet mit Kursen um 4530 Dollar.
Die Spannbreite der Prognosen zeigt, wie außergewöhnlich die Situation ist. Gold ist längst nicht mehr nur Absicherung gegen Inflation. Es ist Versicherung gegen fiskalische Entgleisungen, politische Einflussnahme auf Notenbanken und geopolitische Schocks.
Warnungen vor Rücksetzern werden lauter
Trotzdem mehren sich die mahnenden Stimmen. Die Rally gilt als technisch überhitzt, kurzfristige Rückschläge sind wahrscheinlich. Die Edelmetallspezialisten von Heraeus sehen für 2026 eine breite Preisspanne zwischen 3750 und 5000 Dollar je Unze. Das ist weniger eine Prognose als ein Eingeständnis: Die Unsicherheit ist hoch, die Bandbreite der Szenarien außergewöhnlich.
Gold notiert auf Rekordniveau, doch der eigentliche Befund liegt darunter. Der Markt signalisiert Misstrauen – gegenüber Schulden, Währungen und politischer Steuerungsfähigkeit. Solange dieses Misstrauen anhält, bleibt die 4400-Dollar-Marke kein Endpunkt, sondern eine Zwischenstation.



