Verdacht bestätigt: Umsatz zu früh verbucht
Der Bilanzskandal bleibt Gerresheimer erspart – aber der Vorwurf ist brisant genug. Nach einer internen Untersuchung hat das Düsseldorfer Unternehmen eingeräumt, dass ein Umsatz von rund drei Millionen Euro im Geschäftsjahr 2024 vermutlich zu früh in den Büchern stand. Es geht um sogenannte Bill-and-Hold-Geschäfte – eine Praxis, bei der Ware bereits fakturiert, aber erst später ausgeliefert wird.
Zwar ist das Verfahren rechtlich zulässig, doch die Bilanzierung ist heikel: Nur wenn die Verfügungsgewalt tatsächlich auf den Kunden übergeht, darf der Umsatz gebucht werden. Genau daran zweifelt nun die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).
Der Fall könnte größer werden als gedacht. Gerresheimer selbst gab an, dass sich solche Vereinbarungen im Jahr 2024 auf insgesamt 28 Millionen Euro summierten. Eine Kanzlei prüft nun sämtliche Verträge – auf Anweisung der Bafin.
Symbol eines schwindenden Vertrauens
Die Nachricht schlug im September ein wie ein Paukenschlag. Der Verpackungsspezialist, einst Inbegriff solider deutscher Industrie, steht nun im Verdacht, Umsätze geschönt zu haben – wenn auch in kleinem Maßstab. Für ein Unternehmen, das sich auf die Produktion von Medizinverpackungen und Inhalatoren spezialisiert hat, ist der Imageschaden dennoch erheblich.
Gerresheimer erzielte 2024 rund zwei Milliarden Euro Umsatz, beschäftigt über 13.600 Mitarbeiter und beliefert internationale Pharmakonzerne. Der Konzern gilt als präzise, verlässlich, fast unerschütterlich – bis jetzt.
Die Börse atmet auf – vorsichtig
Anleger reagierten am Montag mit verhaltener Erleichterung. Nachdem der Konzern die problematische Buchung beziffert hatte, kletterte die Aktie über Xetra um 1,24 Prozent auf 29,40 Euro. Ein zartes Plus – mehr Symbolik als Trendwende. Denn noch im September notierte das Papier über 40 Euro, bevor die Bafin-Prüfung publik wurde.
Analysten wie Oliver Metzger (Oddo BHF) sehen den Fall als „eingepreist“, betonen aber die psychologische Wirkung. „Das Problem mag beherrschbar sein“, so Metzger, „doch Fragen zur Unternehmensführung bleiben.“ Auch der MWB-Analyst Harald Hof warnt: Die finanzielle Dimension sei gering, aber die Vertrauenslücke bleibe.
Was die Bafin beunruhigt
Die Bonner Aufseher sehen im Fall Gerresheimer ein Beispiel dafür, wie Umsatzvorschiebungen Bilanzen verzerren können. „Bill-and-Hold“-Geschäfte sind ein rotes Tuch für Prüfer – sie lassen Unternehmen schnell besser dastehen, als sie wirklich sind.
Gerresheimer hatte in den vergangenen Jahren ohnehin mit sinkenden Margen und mehreren Gewinnwarnungen zu kämpfen. Eine zu optimistische Bilanz könnte den Druck auf das Management erklären – und das wiederum das Interesse der Bafin geweckt haben.
Zwischen Bilanzfehler und Bilanztrick
Rechtlich liegt die Latte hoch: Solange keine bewusste Irreführung vorliegt, drohen weder Strafen noch Rückstellungen. Doch in der Wahrnehmung von Anlegern ist die Grenze fließend. Gerade nach prominenten Fällen wie Wirecard oder Steinhoff ist das Vertrauen in deutsche Bilanzen brüchig.
Dass sich Gerresheimer jetzt selbst einer unabhängigen Prüfung unterzieht, ist ein Versuch, Transparenz zurückzugewinnen. Ob das gelingt, hängt davon ab, was die Kanzlei bei den übrigen 25 Millionen Euro an Umsätzen findet.
Ein Weckruf für Anleger
Der Fall Gerresheimer zeigt exemplarisch, wie sensibel Investoren auf selbst kleine Buchungsfragen reagieren. In Zeiten hoher Zinsen und schwindender Risikoappetite reicht schon ein Verdacht, um Milliardenkonzerne ins Wanken zu bringen.
Die Aktie mag sich leicht erholt haben – doch Vertrauen lässt sich nicht so einfach zurückbuchen.

 
                