Millionenprojekt ohne Erlaubnis
Es ist ein Urteil mit Wucht: Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat im Berufungsverfahren gegen die Gründer des Kryptoprojekts Invao, Frank Gessner und Frank Wagner, das vorangegangene Urteil des Landgerichts Lüneburg im Kern bestätigt.
Sie müssen einem Anleger nicht nur eine Investition im mittleren sechsstelligen Bereich zurückzahlen, sondern haften auch für alle Folgeschäden – inklusive entgangener Gewinne.
Damit steht fest: Invao hatte seinen „Ivo Token“ ohne die nötige Lizenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) vertrieben – ein klarer Verstoß gegen deutsches Finanzmarktrecht. Für die einst hochgejubelte Krypto-Plattform, die 2019 mit großen Ambitionen gestartet war, ist das Urteil ein schwerer Schlag.
Große Versprechen, wenig Substanz
Die Vision klang wie aus dem Lehrbuch der Krypto-Euphorie: Anleger sollten über einen Token Zugang zu einem Fonds erhalten, der mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz automatisch die profitabelsten Blockchain-Projekte auswählt. Insgesamt rund 7 Millionen Euro flossen so von Privatanlegern und professionellen Investoren in das Berliner Start-up.
Zu den Unterstützern zählte unter anderem Philipp Schröder, Gründer von 1Komma5Grad, dessen Plattform Capinside den Token aktiv vermarktete – und daran mitverdiente. Doch schon kurz nach dem Start zeigte sich: Hinter der Hochglanzfassade verbargen sich erhebliche Probleme.
Die BaFin schritt ein, der Vertrieb musste gestoppt werden. Dann kollabierte auch noch die Kryptobörse FTX, bei der laut Invao der Großteil der Gelder lag – das Projekt stand vor dem Aus. Ein Anleger, Norbert Boehnke, weigerte sich, den Verlust hinzunehmen und klagte. Seine Vorwürfe wiegen schwer: Die versprochene KI habe nie existiert, so Aussagen ehemaliger Mitarbeiter. Die Gründer dementieren das vehement.
Das rechtliche Kernproblem: Eigenhandel ohne Lizenz
Besonders brisant: Während das Landgericht zunächst ein „erlaubnispflichtiges Emissionsgeschäft“ sah, stellte das OLG nun klar, dass Invao durch die im Prospekt beschriebene „Buy-Back-and-Burn“-Strategie ein weiteres Finanzgeschäft betrieb – und zwar Eigenhandel ohne Genehmigung.
Geplant war, regelmäßig Token zurückzukaufen und zu vernichten, um Angebot und Preis zu steuern. Die Richter werteten diesen Schritt als eigenständiges Finanzdienstleistungsgeschäft, für das eine Bafin-Erlaubnis zwingend erforderlich gewesen wäre. Diese lag jedoch nie vor.
Der Versuch der Verteidigung, sich auf eine Prospektbilligung aus Liechtenstein und das sogenannte European Passporting zu berufen, scheiterte. Eine gültige Erlaubnis habe es zum Zeitpunkt des Token-Vertriebs nicht gegeben, so das Gericht – und unterstellte den Gründern bedingten Vorsatz.
Haftung mit weitreichenden Folgen
Besonders schwer wiegt der Teil des Urteils, der über die Rückzahlung der Investition hinausgeht. Gessner und Wagner müssen nicht nur das eingesetzte Kapital zurückzahlen, sondern für sämtliche Schäden haften, die dem Anleger entstanden sind oder noch entstehen werden – einschließlich der Gewinne, die er mit alternativen Krypto-Investments erzielt hätte.
Boehnke argumentiert, dass er ohne die Fehlinvestition mehrere Millionen Euro Gewinn hätte erzielen können. Die genaue Höhe muss in einem weiteren Verfahren belegt werden. Doch die juristische Grundlage steht: Die Gründer haften grundsätzlich für diese Schäden.

Ein Urteil, das die Branche aufschrecken lässt
Für viele Experten ist die Entscheidung ein Wendepunkt. „Das Urteil zeigt, dass beim Ivo Token ein strukturelles Problem vorlag“, sagt Lutz Tiedemann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. „Es wird weitere Anleger ermutigen, vor Gericht zu ziehen.“
Tatsächlich versucht Boehnke inzwischen, eine Interessengemeinschaft geschädigter Anleger zu gründen. Gespräche mit Prozessfinanzierern laufen bereits. Für die Gründer ist der Rechtsweg noch nicht vollständig ausgeschöpft: Sie haben eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingereicht. Eine Revision hatte das OLG ausgeschlossen.
Doch selbst wenn der BGH den Fall annimmt, wird er nur prüfen, ob das Recht korrekt angewendet wurde – und nicht den Sachverhalt neu bewerten. Die Chancen auf eine Wende stehen daher schlecht.
Signal an die Krypto-Welt: Recht gilt auch für Innovation
Der Fall Invao ist mehr als ein einzelnes Fehlurteil zweier Gründer – er ist ein Lehrstück darüber, dass sich die Welt der Kryptowährungen nicht außerhalb bestehender Gesetze bewegt. Wer Finanzinstrumente vertreibt, braucht eine Lizenz. Wer Anlegern KI-Technologien verspricht, muss diese auch liefern. Und wer Anlegergelder verwaltet, darf sich nicht auf Halbwahrheiten und juristische Grauzonen verlassen.
Invao hat all das ignoriert – und zahlt nun den Preis. Das Urteil von Celle dürfte für viele Krypto-Start-ups ein Weckruf sein: Der Hype ist vorbei, der Rechtsstaat bleibt.
